< vorheriger Artikel

32. Tagung des Forums Friedenspsychologie zum Thema Flucht – Migration – Fremdenfeindlichkeit – Rassismus 14. – 16. Juni 2019, Universität Salzburg


Im öffentlichen Diskurs über aktuelle Flucht- und Migrationsbewegungen werden globale politische und ökonomische Zusammenhänge häufig vernachlässigt. Stattdessen werden die Migrationsursachen meist entweder allein auf individueller Ebene verortet oder ausschließlich auf Umbrüche in den Herkunftsländern zurückgeführt. Derart kurzschlüssige Erklärungsansätze liefern eine scheinbare Legitimation für Praktiken der Exklusion des/der „Fremden“ und fungieren als Nährboden für Nationalismus, Rassismus und Rechtsextremismus. Gerade die Vergegenwärtigung der tatsächlichen Ursachen von (Flucht-)Migration bietet das Potenzial, einerseits individuelle Einstellungen auf ihre Angemessenheit hin zu überprüfen, andererseits verbreitete Ideologien und Narrative über „das Eigene“ und „das Fremde“ in Frage zu stellen. Diesem Problemkomplex widmete sich die 32. Tagung der Forums Friedenspsychologie in Salzburg an, zu der sich insgesamt ca. 60 Teilnehmer/-innen aus verschiedensten mit Friedensforschung befassten Institutionen einfanden.

Der Keynote-Vortrag von Andreas Zick (Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung, Universität Bielefeld) nahm sich den Herausforderungen einer friedlichen Zivilgesellschaft an. Ausgehend von den Ergebnissen der langjährigen Bielefelder Forschungstradition (Konzept der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, Mitte-Studien) ist die Realisierung dieser Vision nicht allein durch (rechts)extremistische Programme und deren Anhängerschaft bedroht, sondern insbesondere durch eine nachweisliche Radikalisierung der sogenannten Mitte der Gesellschaft: Zum einen vertritt eine immer größer werdende Zahl von Menschen identitäre Vorstellungen von Gemeinschaft, die mit einer Abwertung bestimmter Personengruppen einhergehen, wovon Menschen mit Migrationshintergrund ebenso betroffen sein können wie Obdachlose, Homosexuelle und andere Minderheiten. Zum anderen ist in breiten Bevölkerungsteilen eine zunehmende Skepsis gegenüber demokratischen Institutionen und eine wiederkehrende Präferenz für autoritäre Regierungsformen zu konstatieren. Einen möglichen Gegenpol zu diesen Tendenzen könnte die Etablierung von Friedensräumen ermöglichen, die sich an den Prinzipien Recht, Anerkennung, Solidarität und Frieden orientieren.

Rund um die rahmende Keynote-Vorlesung war die Tagung in fünf Arbeitsgruppen gegliedert, die jeweils drei bis vier thematisch zusammenhängende Beiträge umfassten. Den Auftakt bildete eine Arbeitsgruppe, die sich mit der Frage befasste, inwieweit auf der Ebene von Einstellungen unterschiedlicher Personengruppen demokratische Werte als verwirklicht bzw. bedroht erscheinen. Die Dringlichkeit dieser Fragestellung ist nicht zuletzt darin zu sehen, dass gerade die rechtspopulistische Rhetorik immer wieder mit der Annahme operiert, dass zugewanderte Menschen den Wert von Toleranz, Gleichheit, politischer Partizipation oder – noch allgemeiner gesprochen – der Demokratie als Staats- und Lebensform weniger hochhalten würden als die einheimische Bevölkerung. Die zur Diskussion gestellten empirischen Untersuchungen zeigen, dass sich die Behauptung eines straffen Zusammenhanges zwischen demokratiebezüglichen Einstellungen und der ethnischen bzw. nationalen Herkunft als haltlos erweist: Sowohl Wolfgang Frindte und Stephanie Wohlt als auch Margit Stein und Veronika Zimmer konnten in ihren Beiträgen deutlich machen, dass etwa Jugendliche mit Migrationshintergrund keineswegs grundsätzlich negativer gegenüber demokratischen Werten eingestellt sind als Jugendliche ohne Migrationshintergrund. Nichtsdestotrotz darf nicht aus dem Blick geraten, dass antidemokratische Einstellungen – wie beispielsweise der von Wilhelm Kempf fokussierte Antisemitismus – ihre Wurzeln in unterschiedlich konstituierten kollektiven Gedächtnissen haben. Dementsprechend sollte die Forschung sie nicht unhinterfragt als homogene Phänomene betrachten, sondern eine differenzierte Analyse ihrer unterschiedlichen Spielarten anvisieren. Analog dazu steht die praktische Friedensbildung vor der Aufgabe, jeweils zielgruppenspezifische Angebote zur Stärkung eines demokratischen Wertesystems zu entwickeln.

Die zweite Arbeitsgruppe Dehumanization and Concepts for Prevention befasste sich einerseits mit eskalationsbegünstigenden Konfliktkonstellationen, andererseits mit adäquaten Strategien zur Deeskalation. Die Wirkungen rechtspopulistischer Rhetorik auf Rezipient/-innen mit Migrationshintergrund untersuchte Julia Schnepf in ihrer experimentellen Studie mit einem Sample von 200 Personen. Die Ergebnisse unterstreichen, dass Migrationsandere sensibel auf die Botschaft drohenden sozialen Ausschlusses reagieren und entsprechend geringeres Vertrauen in die Politik äußern. Klaus Harnack beleuchtete in seinem Beitrag, ob und inwiefern sich das auf Richard Thaler und Cass Sunstein zurückgehende „Nudging“-Konzept in der Konflikt- und Friedensforschung implementieren lässt. Die Thematisierung von gegenseitigem Vertrauen und gegenseitiger Toleranz zur Deeskalation von Konflikten stand im Mittelpunkt des Beitrages von Christoph Daniel Schaefer. Für die Ermöglichung von „win-win“ Lösungen ist dabei unerlässlich, dass die Interessen, Werte und Bedürfnisse der jeweiligen Konfliktparteien als logisch begründbar (an-)erkannt werden. Olek Netzer widmete in seinem Vortrag der Frage, wie Menschen die unmenschlichsten Handlungen an den Tag legen können, ohne dabei in eine unerträgliche kognitive Dissonanz zu geraten. Als Präventionsstrategie plädiert dieser Ansatz für eine gezielte Sensibilisierung für jene „blinde Flecken“, die das eigene Selbstgerechtigkeitssystem überlagern und Fanatismus und Gewalt begünstigen.

Die dritte Arbeitsgruppe Positionierungen zu Flucht und Asylpolitik befasste sich mit ausgewählten, einleitend angedeuteten Leerstellen im öffentlich-medialen Diskurs. Ricarda Gugg skizzierte in ihrem Beitrag, wie sich einige grundsätzliche Richtlinien zur wissenschaftlichen Erforschung der medialen Repräsentation migrationsgesellschaftlicher Wertediskurse konkret realisieren lassen: Gerade die „Latent Class Analyse“ stellt ein statistisches Verfahren dar, durch das bereits die anfängliche Bestimmung des zu analysierenden Datenmaterials methodisch kontrolliert erfolgen kann, indem Informationen über unterschiedliche Medientypen als solche systematisch mit computergestützten Inhaltsanalysen in Beziehung gesetzt werden. Daniela Susso veranschaulichte anhand empirischen Materials das Fortbestehen kolonialistischer Deutungsmuster, die zur Aufrechterhaltung von Machtverhältnissen in der globalen Migrationsgesellschaft beitragen. Sie macht in ihrer Analyse deutlich, dass in den subjektiven Positionierungen angehender Akademiker*innen eine aufgeklärte postkoloniale Perspektive nur selten vorzufinden ist. Wassilios Baros, Maximilian Sailer und Gwennaelle Mulliez zeigten in ihrer Analyse subjektiver Positionierungen von Rezipient*innen zur medialen Berichterstattung u?ber Asylpolitik auf, dass Faktenwissen nicht zwangsläufig mit einer reflektierten Auseinandersetzung mit der visuellen Darstellung der Situation von Flüchtenden einhergeht. Im Rahmen eines experimentellen Designs konnten die Reaktionen der Rezipient*innen zu Formen eskalierender und deeskalierender Berichterstattung über Geflüchtete und Asylpolitik analysiert und anhand von fünf latenten Antwortmustern näher beschrieben werden. Die im Beitrag von Thomas Theurer dargestellten Forschungsergebnisse legen nahe, dass emotionalisierte Reaktionen auf den (politischen bzw. medialen) Umgang mit Geflüchteten keineswegs ausschließlich charakteristisch für rechtspopulistische respektive migrationskritische Positionen sind. Bei der weiteren Erforschung der Rolle von Emotionen im politischen Diskurs kann es sich stattdessen als ertragreich erweisen, genauer zwischen unterschiedlichen Emotionsarten und ihren jeweiligen intentionalen Objekten zu differenzieren. 

Die vierte Arbeitsgruppe widmete sich Inter-Gruppen-Beziehungen und der grundlegenden Interdependenz zwischen ‚den Etablierten‘ und ‚den Anderen‘. Astrid Engl befragte psychoanalytische (Lacan) und politiktheoretische Ansätze auf ihre Tragfähigkeit zur Unterscheidung von utopischen Gemeinschaftskonzeptionen hinsichtlich ihres restriktiven oder emanzipatorischen Potenzials. Unter Berücksichtigung eines breiten empirischen Datenfundus konnte Madlen Preuß in ihrem Beitrag aufzeigen, dass die Annahme eines Etablierten-Status – neben Autoritarismus, sozialer Dominanzorientierung und Anomie – einen weiteren möglichen Erklärungsfaktor für die Entstehung von Dimensionen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und das Aufkommen von Inter-Gruppen-Konflikten darstellt. Die Überlegung, dass innergemeinschaftliche soziale Normen einen Einflussfaktor auf die Wahrnehmung und Beurteilung politisch-medialer Ereignisse bilden, spiegelt sich auch in Claas Pollmanns‘ Untersuchungsanlage zur Entwicklung des lokalen Intergruppenklimas rund um die rechten Proteste in Chemnitz (2018) wider. Die von Sebastian Lutterbach referierten Studien zeigen, dass insbesondere positive Kontakterfahrungen zwischen Geflüchteten und Einheimischen die Entwicklung von shared reality begünstigen und somit für die Prävention von Inter-Gruppen-Konflikten fruchtbar gemacht werden können.

Die Beiträge der fünften und abschließenden Arbeitsgruppe der Tagung hatten den thematischen Fokus auf konkrete Praxisprojekte gerichtet, die zu einer Erhöhung von demokratischem Engagement, Partizipation und gesellschaftlicher Integration beitragen möchten. Hannes Delto berichtete über empirische Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen ehrenamtlicher Aktivität im Fußballsport und dem Eintreten für das demokratische Wertesystem: Zwar bestehen in Fußballvereinen spezifische Mechanismen sozialer Selektivität und Normalisierung, doch zeichnen sich die dort tätigen Sozialisationsagenten gegenüber anderen Vereinsmitgliedern durch eine stärkere Bereitschaft aus, gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus einzutreten. Passend zum Rahmenthema der Tagung stellten Nadine Knab und Claas Pollmanns das 2016 gegründete Fachnetzwerk Sozialpsychologie zu Flucht und Integration vor, das sich ehrenamtlich für einen Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die politische, (sozial)pädagogische und therapeutische Praxis einsetzt. Der Maxime folgend, dass eine kritisch-emanzipatorische Wissenschaft nicht bei Fremdzuschreibungen über Geflüchtete und deren Lebenssituation verharrt, sondern zusammen mit ihnen migrationsgesellschaftliche Zusammenhänge zu erhellen versucht, präsentierte Michelle Proyer die Erfolge und Verbesserungspotentiale des Zertifikatkurses „Allgemeine bildungswissenschaftliche Grundlagen für geflüchtete Lehrpersonen“ in Kooperation mit Teilnehmer/-innen dieser Maßnahme. 

Der inzwischen dreizehnjährigen Tradition folgend, fand im Rahmen der Tagung auch die Verleihung des „Gert-Sommer-Preises“ statt, mit dem herausragende friedenspsychologische Qualifikationsarbeiten honoriert werden. Gewinnerin des diesjährigen Preises ist Mareike Augsburger mit ihrer Dissertation ‚Becoming cruel in the face of war‘. Die Arbeit bündelt mehrere anspruchsvolle Teilstudien, die unter Berücksichtigung geschlechtsspezifischer und sozialer Aspekte verschiedenartige und innovative Erkenntnisse über das Zusammenspiel erlebter traumatischer Erfahrungen mit dem Empfinden eigener appetitiver Aggression zu Tage fördern. Weiterhin wurde Isabel Strubels Dissertation ‚Gerechtigkeit vor Eigennutz. Motive nachhaltigen Konsums‘ mit einer honorable mention gewürdigt. Wir danken beiden Preisträgerinnen, dass sie die zentralen Ergebnisse ihrer Arbeiten auf der Tagung vortrugen!

Für den intensiven fachlichen Austausch während der einzelnen Arbeitsgruppen, aber insbesondere auch für die familiäre Atmosphäre in den gemeinsamen Pausenzeiten, sowie bei der Mitgliederversammlung und der Vorstandssitzung des Forums Friedenspsychologie, möchten wir weiterhin allen Tagungsteilnehmer/-innen danken. Nicht zuletzt bedanken wir uns beim Fachbereich Erziehungswissenschaft der Universität Salzburg und der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie für die freundliche Unterstützung der Tagung.

Wassilios Baros & Thomas Theurer

(für das Organisationsteam)


Zurück