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Die Klimakrise - ein Thema für Health in all Policies?[1]


Der Klimawandel und die Umweltverschmutzung haben schon heute Auswirkungen auf die Gesundheit. Die Luftverschmutzung ist eines der größten gesundheitlichen Probleme unserer Zeit und verursacht etwa 13 Millionen Todesfälle weltweit pro Jahr. Durch Extremwetterereignisse wie Hitzewellen steigt das Risiko für Überhitzung, Herzinfarkte und Infektionen – auch in Europa, wie das Deutsche Ärzteblatt erst kürzlich schrieb. Dürren und der Verlust von Biodiversität führen zudem zu Ernteausfällen und Nahrungsmittelknappheit, um nur einige direkte und indirekte gesundheitsbezogene Folgen des Klimawandels zu benennen. Dass die Gesundheit des Menschen nicht mehr unabhängig von der Gesundheit unseres Planeten gedacht werden kann, rückt zunehmend auch in den Fokus des Public Health Bereichs. 2014 berief die Fachzeitschrift „The Lancet“ die erste internationale, interdisziplinär besetzte Expertenkommission zum Thema „Planetary Health“, die sich mit den Zusammenhängen befasst. Die Weltgesundheitsorganisation legte im Dezember 2018 eine globale Strategie „Health, Environment and Climate Change“ vor, deren Ziel es ist, „die Art und Weise, wie wir mit Umweltrisiken für die Gesundheit umgehen, zu verändern, indem wir Health in all Policies berücksichtigen und Prävention und Gesundheitsförderung intensivieren.“

Die Tendenz zur Verdrängung und „Co-Benefits“

Wie kaum ein anderes globales Problem erfordert die Klimakrise in ihrer Komplexität ein sektorenübergreifendes Handeln statt paralleler Einzelmaßnahmen. Doch wie in der Gesundheitsförderung und Prävention fallen Verhaltens- und Verhältnisänderungen auch im Umgang mit dem Klimawandel offenbar nicht leicht. Das gilt auch in der Politikgestaltung. „Das Problem sind wir selbst“, schreibt die Lancet Kommission zu der Frage, weshalb hier bisher global zu wenig getan wird. „Die Tendenz des Menschen, unangenehme Fakten oder Entscheidungen zu verdrängen oder herunterzuspielen [...]; die Natur von Unternehmen und Ländern, ihre eigenen, statt der kollektiven Interessen zu verteidigen“. Dabei können Interventionen zum Klimaschutz gleichzeitig positive Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Man spricht hierbei von „Co-Benefits“, also positiven Nebeneffekten. Der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und der Fahrrad-Infrastruktur führte beispielsweise bereits in vielen Städten zu einem Rückgang des Autoverkehrs und damit zu einer Reduzierung von Abgasen. Das kommt dem Klima und der Gesundheit zugute. Gleichzeitig bewegen sich die Menschen mehr zu Fuß oder mit dem Fahrrad und beugen damit Übergewicht, Diabetes und kardiovaskulären Erkrankungen vor. Gibt es in anderen Ländern und Politikbereichen bereits weitere, vielversprechende Strategien zur Bewältigung der Klimakrise, die sich auch auf die Gesundheit positiv auswirken können? Zwei Beispiele.

Saubere(re) Technologien und finanzielle Anreize

Zur Reduzierung des Schadstoffausstoßes durch Industrie und Verkehr und damit zur Verringerung der Luftverschmutzung können auch neue Technologien beitragen. Norwegen gilt als Vorreiter in der E-Mobilität. 2018 machten batteriebetriebene und Hybrid-Autos dort einen Marktanteil von 50 Prozent aus. Ab 2025 dürfen nur noch Nullemissions-Fahrzeuge verkauft werden. Erreicht werden soll dies durch ein Paket an Steuervergünstigungen und Anreizen nach dem Prinzip „der Verursacher zahlt“ – die Nutzung von Benzin- oder Dieselfahrzeugen soll stets teurer sein als von Autos mit niedrigem Schadstoffausstoß. Entsprechende Maßnahmen zur finanziellen Entlastung der Halter*innen von E-Autos wurden über mehrere Regierungen hinweg auf den Weg gebracht und beinhalten etwa die Befreiung von der Mehrwertsteuer sowie von Importsteuern beim Kauf von E-Autos, den Erlass der jährlichen Straßensteuer sowie um 50 Prozent reduzierte Parkgebühren. Auch in die Infrastruktur wurde investiert und seit 2017 mehr als 10.000 E-Ladestationen in ganz Norwegen errichtet. Einen Haken hat die Sache allerdings: E-Autos sind im Verbrauch zwar ressourcenschonend, stehen aber dennoch in der Kritik, weil der Abbau der Rohstoffe für die Batterien die Umwelt belastet und unter prekären Arbeitsbedingungen erfolgt. Bis zu einem wirklich „sauberen“ Antrieb besteht also auch dort noch Weiterentwicklungsbedarf.

Die Plastikverschmutzung der Meere

Ein weiteres Problem mit möglichen gesundheitlichen Implikationen ist die zunehmende (Mikro-)Plastikverschmutzung in Gewässern. Trotz internationaler Regularien gelangen jährlich mehrere Tonnen Plastikabfälle in die Meere. Plastik zersetzt sich nicht wie biologisches Material, sondern zerfällt über Jahrhunderte in immer kleinere Mikroplastikteile (1 ?m bis 5 mm). Laut einer Studie des Fraunhofer Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik entstehen erhebliche Mengen an Mikroplastik zudem durch den Abrieb von Autoreifen, der mit dem Regen weiter in die Natur gelangt. Auch in Kosmetikprodukten werden Mikroplastikkügelchen eingesetzt. Gerade in den Meeren hat die Plastikverschmutzung immense Folgen für die Tierwelt, denn Fische, Meeressäuger und Vögel nehmen die Teile mit der Nahrung auf. Weltweite Untersuchungen zeigen, dass schon heute auf diese Weise (Mikro-)Plastik in den Nahrungskreislauf gelangt.

Im August 2019 legten Forscher*innen Ergebnisse vor, wonach Mikroplastik auch in der Luft zu finden ist. Ob und wie sich das auch auf den Menschen auswirkt, dazu steht die Forschung noch ganz am Anfang. Doch selbst wenn Plastik „nur“ die Umwelt belastet, braucht es auch hier integrierte Maßnahmen, die über die freiwillige Reduzierung in der Wirtschaft oder im privaten Konsum hinausgehen. Weltweit haben bislang 90 Länder die Verwendung von Plastik eingeschränkt – sei es durch Besteuerung oder Verbote. Zu den Vorreitern zählt Ruanda, wo 2008 ein Gesetz in Kraft trat, das die Produktion, den Verkauf und die Nutzung von Plastiktüten aus Polyethylen verbietet. Die Hauptstadt Kigali gilt inzwischen als eine der saubersten Städte weltweit. Aktuell diskutiert das ruandische Parlament ein zusätzliches Verbot von Plastikstrohhalmen, -geschirr und Einweg-Plastikflaschen.

Auch die deutsche Bundesregierung befasst sich offenbar derzeit mit dem Thema: Im Herbst 2019 legte Umweltministerin Schulze einen Gesetzesentwurf vor, der den Verkauf von Plastiktüten ab 2020 verbieten soll, nicht jedoch die Ausgabe von abreißbaren Plastikbeuteln etwa an der Obst- und Gemüsetheke. Die ersten Reaktionen waren durchwachsen: Von den einen wurde der Entwurf als Vertrauensbruch am Einzelhandel, von anderen als Symbolpolitik bezeichnet, zumal Plastiktüten in Deutschland nur einen geringen Anteil des Plastikmülls ausmachten. Der Gesetzesentwurf wird aktuell in den Ressorts der anderen Bundesministerien geprüft.

Fazit

Ein Verbot – sei es von Plastik oder Dieselfahrzeugen – allein reicht natürlich nicht aus. Es bedarf alternativer Lösungen und integrierter (politischer) Strategien. Im Grunde genommen stehen Akteur*innen aus verschiedensten Sektoren, vom Gesundheitsbereich über die Stadt- und Verkehrsplanung, die Energiewirtschaft, Technologieunternehmen bis hin zum Umweltschutz oft vor denselben Herausforderungen. HiAP trägt dazu bei, sie zusammenzubringen, damit sie ihre Ressourcen und ihr Know-How bündeln, um gemeinsam Alternativen und Rahmenbedingungen zu entwickeln und umzusetzen, die sowohl umweltbezogene als auch gesundheitliche „Benefits“ bringen.

 

Über die Autorin:

Janine Sterner, Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e.V., Fenskweg 2, 30165 Hannover. janine.sterner@gesundheit-nds.de


[1]Quelle: Impu!se für Gesundheitsförderung, Nr. 104, 09/2019, der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e.V.; Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin.


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