Herrn
MinDirig. Dr. Ulrich Orlowski
Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung
Abteilung 2
Unterabteilung 22
Am Probsthof 78 a
53121 Bonn
die im Anhang aufgeführten Verbände des Gesprächskreises II (also ohne Deutsche Gesellschaft für Psychologie, Deutscher Psychotherapeutenverband und Vereinigung der Kassenpsychotherapeuten) wenden sich an Sie mit der Bitte, die Ihnen zur Überprüfung vorliegende Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 15.03.05 nur unter Vorbehalt eines ergänzenden Zusatzes (Protokollnotiz oder Anhang) zu genehmigen.
Die Verbände beziehen sich dabei einerseits auf einen bereits im April letzten Jahres im Gemeinsamen Bundesausschuss - Psychotherapie - konsentierten Beschluss zu einer Protokollnotiz zur modifizierten Anwendung der Verfahrensordnung im Bereich der Psychotherapie als auch auf die Ihnen bereits zugegangene Eingabe des bvvp.
Anknüpfend an die Ihnen bereits vorliegenden Ausführungen und Gesichtspunkte möchten wir Ihnen den im folgenden formulierten Textvorschlag zur Verdeutlichung der von uns inhaltlich für notwendig erachteten Ergänzung der Verfahrensordnung unterbreiten:
1. Der nach § 20, Abs. 2. Satz 1 definierte Standard - Unterlagen der Evidenzstufe 1 - für die Überprüfung des medizinischen Nutzens, der medizinischen Notwendigkeit und der Wirtschaftlichkeit (§17, Abs. 2, Nr. 1. bis 3) kann im Bereich der Psychotherapie nicht regelhaft zugrundegelegt werden, da sich randomisierte Studien zur Bewertung der Versorgungsrelevanz von psychotherapeutischen Verfahren nur begrenzt eignen und eine Doppelverblindung methodisch i.d.R. nicht realisierbar ist. Unabhängig davon sind naturalistische Praxisstudien vergleichbar geeignet, valide Ergebnisse für die betreffenden Prüfverfahren bereitzustellen. Zudem kommt bei der Prüfung von Psychotherapieverfahren naturalistischen Praxisstudien
2. Im Unterschied zu "Behandlungsmethoden" (auf deren Überprüfung die Verfahrensordnung sich nach Wortlaut von § 8 Abs. 1 bezieht) umfassen Psychotherapieverfahren (wie z.B. analytische und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, Verhaltenstherapie, Gesprächspsychotherapie oder andere Verfahren) eben Behandlungsmethoden auch Modelle und Konzepte zu Krankheitsentstehung und Chronifizierung sowie zur Therapeut-Patientenbeziehung und zur Behandlungstechnik.
Als umfassendere theoretische und Behandlungspraxis strukturierende Systeme sind sie methodologisch nicht in toto einer Überprüfung durch anwendungsbezogene Untersuchungen zugänglich, sondern exemplarisch in einigen relevanten Anwendungsbereichen auf medizinischen Nutzen, medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit zu überprüfen. Der daraus sich ergebenden Notwendigkeit einer Modifikation des Prüfungsverfahrens ist dahingehend zu entsprechen, dass Studien mit dem Untersuchungsgegenstand adäquaten Designs und hinreichend hohen Evidenzklassen bei Störungen mit Krankheitswert, bei denen Psychotherapie indiziert ist vorzulegen und zu überprüfen sind.
Zur Begründung möchten wir ergänzend noch folgende Gesichtspunkte anfügen: Die zur Überprüfung von neu eingeführten Medikamenten und von technischen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden geltenden Standards lassen sich auch insofern nicht übertragen, als eine randomisierte Behandlungszuordnung sich nicht mit der verbrieften Freiheit der Wahl des Behandlers und der Behandlungsart seitens des Patienten (Selektionsprozesse) in Einklang bringen lässt und die Bildung einer Placebo-Gruppe aus ethischen Gründen nicht realisierbar erschient.
Hinsichtlich der erwähnten Notwendigkeit der Differenzierung zwischen "Behandlungsmethode" und psychotherapeutischem "Behandlungsverfahren" (Punkt 2.) ist auch zu berücksichtigen, dass letztere nach § 8 Abs. 3 PsychThG Grundlagen der Ausbildung und Approbation, somit Grundlage der Berufsausübung darstellen, dass § 95 c SGB V die Zulassung zur Behandlung von GKV-Patienten von der vertieften Ausbildung in einem nach § 92 Abs. 6a anerkannten Psychotherapieverfahren abhängig macht. Dieses Faktum der gesetzlich normierten Verzahnung von Berufsrecht und Sozialrecht mit Wirkung auf die Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs.1 GG) verdeutlicht die Differenzierungsnotwendigkeit.
Somit sind Psychotherapieverfahren einer anderen, umfassenderen Systematik zuzuordnen; sie können u.E. nicht in Gleichsetzung mit umgrenzten "Behandlungsmethoden" in toto evidenzbasiert überprüft werden.
Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie in dieser Angelegenheit intervenieren könnten und bedanken uns für Ihr Interesse.
Mit freundlichen Grüßen
im Auftrage der unterzeichnenden Verbände
Holger Schildt
Geschäftsführer und Justitiar der DGPT