Mit diesem Fallbeispiel möchten wir Ihnen wieder eine interessante berufsrechtliche Fallkonstellation darstellen, die Kerstin Burgdorf, Juristin in der Bundesgeschäftsstelle, für Sie vorbereitet hat und mit der Kolleg*innen in der Ausbildung häufig konfrontiert sein dürften.
Anfragen der Krankenkasse bzw. des MDK
Wie ist mit Anfragen des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK bzw. MD) umzugehen und was gilt hinsichtlich der Schweigepflicht gegenüber den Patient*innen?
Diese Frage kommt im Praxis-Alltag regelmäßig vor. Häufigster Anlass ist eine Krankschreibung bzw. eine längere Phase von Ausfallzeiten des / der Patient*in am Arbeitsplatz. Im Folgenden einige Hinweise und Überlegungen zur Thematik:
Zunächst ist festzuhalten, dass Auskünfte an Dritte nur dann rechtlich möglich sind, wenn eine ausdrückliche Schweigepflichtsentbindung des / der Patient*in vorliegt. Eine Ausnahme hiervon stellen die gesetzlich geregelten Auskunftspflichten dar. In einem solchen Fall bedarf es keiner ausdrücklichen Schweigepflichtentbindungserklärung des / der Patient*in.
Vertragsärzt*innen und -psychotherapeut*innen sind gem. § 276 Abs. 2 Satz 1 SGB V gesetzlich zur Auskunft gegenüber dem MDK verpflichtet, soweit die Gesetzliche Krankenversicherung eine gutachterliche Stellungnahme oder Prüfung durch den MDK veranlasst hat. Die Übermittlung von Auskünften für gutachtliche Stellungnahmen, Prüfungen und Beratungen des MDK muss im Einzelfall erforderlich sein (§ 276 Abs. 2 Satz 1 SGB V).
§ 276 Zusammenarbeit
(1) Die Krankenkassen sind verpflichtet, dem Medizinischen Dienst die für die Beratung und Begutachtung erforderlichen Unterlagen vorzulegen und Auskünfte zu erteilen. Unterlagen, die der Versicherte über seine Mitwirkungspflicht nach den §§ 60 und 65 des Ersten Buches hinaus seiner Krankenkasse freiwillig selbst überlassen hat, dürfen an den Medizinischen Dienst nur weitergegeben werden, soweit der Versicherte eingewilligt hat. Für die Einwilligung gilt § 67b Abs. 2 des Zehnten Buches.
(2) Der Medizinische Dienst darf Sozialdaten erheben und speichern sowie einem anderen Medizinischen Dienst übermitteln, soweit dies für die Prüfungen, Beratungen und gutachtlichen Stellungnahmen nach den §§ 275 bis 275d erforderlich ist. Haben die Krankenkassen oder der Medizinische Dienst für eine gutachtliche Stellungnahme oder Prüfung nach § 275 Absatz 1 bis 3 und 3b, § 275c oder § 275d erforderliche versichertenbezogene Daten bei den Leistungserbringern angefordert, so sind die Leistungserbringer verpflichtet, diese Daten unmittelbar an den Medizinischen Dienst zu übermitteln. Die rechtmäßig erhobenen und gespeicherten Sozialdaten dürfen nur für die in den §§ 275 bis 275d genannten Zwecke verarbeitet werden, für andere Zwecke, soweit dies durch Rechtsvorschriften des Sozialgesetzbuchs angeordnet oder erlaubt ist. Die Sozialdaten sind nach fünf Jahren zu löschen. Die §§ 286, 287 und 304 Abs. 1 Satz 2 und 3 und Absatz 2 sowie § 35 des Ersten Buches gelten für den Medizinischen Dienst entsprechend. Der Medizinische Dienst hat Sozialdaten zur Identifikation des Versicherten getrennt von den medizinischen Sozialdaten des Versicherten zu speichern. Durch technische und organisatorische Maßnahmen ist sicherzustellen, dass die Sozialdaten nur den Personen zugänglich sind, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen. Der Schlüssel für die Zusammenführung der Daten ist vom Beauftragten für den Datenschutz des Medizinischen Dienstes aufzubewahren und darf anderen Personen nicht zugänglich gemacht werden. Jede Zusammenführung ist zu protokollieren.
Die Auskunftspflicht erstreckt sich nur auf die Angaben zu dem / der Patient*in, die für die Beurteilung des konkreten Sachverhalts erforderlich sind. Bei Zweifeln über das Auskunftsersuchen oder den Umfang der Anfrage sollte der MDK zur Darlegung der Erforderlichkeit aufgefordert werden (kurze schriftliche Anfrage an den MDK, Datenschutz beachten).
Der MDK muss gegenüber Vertragspsychotherapeut*innen immer angeben, zu welchem Zweck eine Stellungnahme von der Krankenkasse gefordert wird und inwieweit die angeforderten Unterlagen zur Erstellung des eigenen Gutachtens notwendig sind.
Die Auskunftspflicht umfasst auch Fremdbefunde, soweit diese relevant sind.
Vertragspsychotherapeut*innen haben den Vordruck Muster 11 zu verwenden. Wenn andere Vordrucke beigelegt werden, ist der MDK verpflichtet, die Auskunft über die Erforderlichkeit auf Nachfrage zu erteilen.
Der MDK kann auch anstelle der Nutzung eines Fragenkatalogs einen Verlaufsbericht (Freitext) anfordern. Dies muss ausdrücklich angefordert werden.
Der Umfang der Auskunft des / der Vertragspsychotherapeut*in hat sich streng daran zu orientieren, was zur Klärung der Fragestellung notwendig ist.
Es muss deutlich sein, welche Fragestellung die Kasse an den MDK gerichtet hat.
Der MDK darf nur Daten erheben, die für die Prüfung und gutachterliche Stellungnahme erforderlich sind.
Kopien von Sitzungsprotokollen sollten möglichst nicht eingereicht werden an den MDK. Dem MDK stehen vorgefertigte Fragebögen bzw. Formulare zur Verfügung und er kann auch, wie bereits geschrieben, einen Befund- oder Verlaufsbericht von Ihnen anfordern.
Es gilt hier (auch für den MDK) der Grundsatz der Datensparsamkeit und Datenvermeidung (Bundesdatenschutzgesetz) und der Verhältnismäßigkeit.
Erstellen Sie einen Befund- oder Verlaufsbericht, in dem Sie die Situation des / der Patient*in in die ICF-Sprache „übersetzen“ (Beschreibung des funktionalen Gesundheitszustandes, der Behinderung, der sozialen Beeinträchtigung und der relevanten Umgebungsfaktoren eines / einer Patient*in. Mit der ICF können die bio-psycho-sozialen Aspekte von Krankheitsfolgen unter Berücksichtigung der Kontextfaktoren systematisch erfasst werden):
www.dimdi.de/dynamic/de/klassifikationen/icf/
Hilfreich ist auch ein Blick in die Begutachtungsanleitung AU des MDS und des GKV-Spitzenverbands:
www.mds-ev.de/fileadmin/dokumente/Publikationen/GKV/Begutachtungsgrundlagen_GKV/BGA-AU_170515.PDF
Nochmals zur Veranschaulichung ein Hinweis auf § 62 Bundesmantelvertrag (BMV-Ä). Dieser sieht vor, dass Vertragsärzt*innen / -psychotherapeut*innen zur Zusammenarbeit mit dem MDK verpflichtet sind:
§ 62 Zusammenarbeit mit dem Medizinischen Dienst (Bundesmantelvertrag – Ärzte (BMV-Ä)
(1) 1Der Medizinische Dienst gibt auf Anforderung der Krankenkassen in den gesetzlich bestimmten Fällen oder, wenn es nach Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung oder nach dem Krankheitsverlauf erforderlich ist, eine gutachtliche Stellungnahme ab. 2Er hat das Ergebnis der Begutachtung der Krankenkasse und dem Vertragsarzt sowie die erforderlichen Angaben über den Befund der Krankenkasse mitzuteilen. 3Er ist befugt, den an der vertrags-ärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten und den sonstigen Leistungserbringern, über deren Leistungen er eine gutachtliche Stellungnahme abgegeben hat, die erforderlichen Angaben über den Befund mitzuteilen. 4Der Versicherte kann der Mitteilung über den Befund an den Vertragsarzt widersprechen.
(2) 1Haben die Krankenkassen oder der Medizinische Dienst für eine gutachtliche Stellungnahme oder Prüfung nach § 275 SGB V erforderliche versichertenbezogene Daten angefordert, so sind die Vertragsärzte verpflichtet, diese Daten unmittelbar an den Medizinischen Dienst zu übermitteln, soweit dies für die gutachtliche Stellungnahme und Prüfung erforderlich ist. 2Für die Übermittlung der versichertenbezogenen Daten an den Medizinischen Dienst stellt die Kranken-kasse den Vertragsärzten einen vollständig vorausgefüllten Weiterleitungsbogen (Muster 86) zur Verfügung. 3Für den Versand der Unterlagen an den Medizinischen Dienst stellt die Krankenkasse dem Vertragsarzt einen Freiumschlag zur Verfügung.
Kerstin Burgdorf, April 2021