Mechthild Greive, Dortmund
"Ein Federstrich des Gesetzgebers macht ganze Bibliotheken zu Makulatur" - Dieser Satz eines klugen Juristen hat sich im Hinblick auf das GMG 2003 wieder einmal bestätigt.
Stand das Kürzel "GMG" bei Redaktionsschluss der VPP 3/2003 noch für "Gesundheitssystem-Modernisierungsgesetz", so steht es jetzt als Abkürzung für das "Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung", ist von Bundestag und Bundesrat verabschiedet und wird zum 1.1.2004 in Kraft treten.
Dieses gesetzgeberische Tempo war möglich geworden, weil Mitte Juli 2003 die Rot/Grüne Koalition gemeinsam mit der oppositionellen CDU die Eckpunkte zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung entwickelt hatte, die aus dem Gesundheitssystem-Modernisierungsgesetz das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung machten. Wenn die Debatte um den ersten Gesetzentwurf schon deutlich gemacht hatte, dass es bei Weitem nicht um eine Strukturveränderung der gesetzlichen Sozialversicherung im Gesundheitswesen ging, sondern um eine Weiterentwicklung des Bestehenden, so macht der bescheidenere Name des jetzt verabschiedeten Gesetzes deutlich, dass dieses Gesetzeswerk selbst hinter den Strukturveränderungsvorschlägen des ersten Entwurfes tatsächlich noch einige Schritte zurück bleibt.
In einer kurzen Übersicht soll dies verdeutlicht werden.
Erfreulicherweise hält sich auch das jetzt verabschiedete Gesetz an dieser Stelle zurück. Es ist keine Diskussion geführt worden über die Tatsache, dass psychotherapeutische Leistungen in den Regelkatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehören. Hoffnungsfroh dürfen wir festhalten, dass die Einbindung psychotherapeutischer Leistungen in die gesetzliche Krankenversicherung offenbar immer mehr zur Normalität wird.
Die Strukturveränderungsvorschläge des ersten Gesetzentwurfes zum GMG hatten die neue Versorgungsform des Gesundheitszentrums vorgeschlagen, die die Steuerung der Leistungsanbieter sehr stark über Einzelverträge regeln sollte und diese Verträge den Krankenkassen übertrug, damit die Organisationsverantwortung der Kassenärztlichen Vereinigungen entsprechend zurückdrängte und ihren Sicherstellungsauftrag einschränkte. Ein weiteres neues Steuerungsinstrument, das Modell des "Hausarztes als Lotsen", verbunden mit Zuzahlungsverpflichtungen für die Patientinnen und Patienten, die diese Lotsenfunktion nicht in Anspruch nehmen, sollte eingeführt werden.
Die Eckpunkte der "großen Koalition" und das nun verabschiedete Gesetz nehmen die Möglichkeiten der Gesundheitszentren, die jetzt Versorgungszentren heißen und die Steuerungsmöglichkeiten der Krankenkassen weitestgehend wieder zurück.
Viele Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen, Psychotherapeuten, Ärzte, Krankenhäuser, Physiotherapeuten und andere hatten in die neue Organisationsform der Gesundheitszentren große Hoffnungen gesetzt. Sie war angelehnt an die in der DDR erfolgreichen Polikliniken und sollte es ermöglichen, in jeder denkbaren Trägerschaft und zugelassenen Rechtsform Gesundheitsdienstleistungen zu bündeln und "unter einem Dach" für Patientinnen und Patienten leicht erreichbar anzubieten. Verschiedene Anteilseigner, Träger und Unternehmer konnten sich in einer Gesellschaft zusammen finden um mit angestellten medizinischen Fachkräften ein interdisziplinäres, fachübergreifendes Angebot für Patientinnen und Patienten aus einer Hand zu machen. Dieses Modell des "Gesundheitszentrums" lebt im GKV- Modernisierungsgesetz unter dem Namen "Versorgungszentrum" weiter. Auch hier weist die Namensänderung auf eine wichtige qualitative Veränderung während des Gesetzgebungsverfahrens hin: Sollten solche Gesundheitszentren ursprünglich unabhängig von der Bedarfszulassung durch die Kassenärztliche Vereinigung (KV) über Einzelverträge mit den Krankenkassen überall eingerichtet werden können, so kann dies nach dem neuen Gesetz nur noch dann geschehen, wenn mit dem Segen der KV eine Unterversorgung und damit eine Bedarfslücke festgestellt wird. Einzige Ausnahme von der Zulassungshürde der Kassenärztlichen Vereinigung ist der Fall, dass ein niedergelassener Arzt oder Psychotherapeut seinen Praxissitz aufgibt und als angestellter Arzt oder Psychotherapeut in ein Versorgungszentrum wechselt. In diesem Fall ist die KV verpflichtet, die Zustimmung zur Zulassung dieses Versorgungszentrums zu geben.
Was zunächst wie eine marginale Veränderung erscheinen mag, ist als echter Paradigmenwechsel zwischen Gesetzentwurf und verabschiedetem Gesetz zu werten. In der politischen Debatte stand die Einführung der Gesundheitszentren über Einzelverträge für den Wechsel der Steuerung des Sicherstellungsauftrages und der bedarfsgerechten Versorgung von der Kassenärztlichen Vereinigung und vom Zulassungsausschuss der KV auf die Steuerungsmacht durch die Krankenkassen. Manche sahen in diesem Wechsel auch eine Chance für mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen. Nach dem jetzt verabschiedeten Gesetz bleibt es aber bei der Sicherstellung und Bedarfssteuerung durch die Kassenärztliche Vereinigung, die hier sicherlich einen Sieg ihrer Lobbyarbeit verbuchen kann. Für die Realität der Zulassung von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten heißt dies, dass sie als Angestellte in einem Versorgungszentrum nur dort arbeiten können, wo es noch freie Versorgungskapazitäten gibt. Eine gewisse Hoffnung für die Versorgungszentren liegt allenfalls darin, dass interdisziplinäre Teams von niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten sich entscheiden, gemeinsam ein Versorgungszentrum aufzubauen und eine neue Trägerschaft und Rechtsform zu wählen. Besonders wünschenswert wäre natürlich, dass dies in Zusammenarbeit mit Anbietern stationärer Leistungen geschieht, damit hier die Chance genutzt wird, die Sektorgrenzen zwischen Krankenhaus und ambulanter Versorgung aufzubrechen.
Im Hinblick auf dieses Aufbrechen der Sektorgrenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung ist der Gesetzgeber im Übrigen dem ursprünglichen Ansatz treu geblieben. Die Schaffung "integrierter Versorgungsmodelle" wird erleichtert und erhält finanzielle Anreize; die Öffnung der Krankenhäuser für ambulante Versorgung wird forciert.
Integrierte Versorgung soll multiprofessionelle Netzwerke stationärer und ambulanter Anbieter schaffen, die in abgestimmten Prozessen eingeschriebene Patientinnen und Patienten behandeln, die für Ihre Teilnahme wiederum eine Vergünstigung ihrer Krankenkasse erhalten. Das Gesetz sieht vor, dass integrierte Versorgungsmodelle über einen besonderen Budgetanteil finanziert werden können, was faktisch sicherlich einen starken Anreiz zur Entwicklung solcher Versorgungsmodelle bietet, zumal hierfür 1 % des Budgets der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten sowie 1 % des Krankenhausbudgets zur Verfügung gestellt werden, die aus diesen Budgets gekürzt werden. Medizinische Leistungsanbieter, die ihren ursprünglichen Budgetrahmen für sich erhalten wollen, sind also gezwungen, sich diese Finanzmittel über integrierte Versorgungsmodelle "zurückzuholen". Es bleibt zu hoffen, dass es hier zu einer echten qualitativen Veränderung in der Zusammenarbeit zwischen dem stationären und dem ambulanten Bereich kommt, die als interessante Zusatzmöglichkeit auch Apotheken in die Kooperation einbinden kann.
Die bereits jetzt, kurz nach Verabschiedung des Gesetzes, anlaufenden intensiven Gespräche innerhalb der Gesundheitswirtschaft lassen vermuten, dass finanzielle Anreize über das "Zurückholen" der Budgetkürzungen ein wichtiger Motor für die Entwicklung integrierter Versorgungsmodelle sein werden. Im Verhältnis zur ursprünglichen Fassung der §§ 140 a f. SGB V sind außerdem für die integrierten Versorgungsmodelle zahlreiche bürokratische Hürden abgebaut worden. So bedarf es nun keiner Rahmenvereinbarungen auf Bundes- oder Landesebene zwischen den Partnern der Selbstverwaltung mehr. Integrierte Versorgungsmodelle sind nach der neuen gesetzlichen Fassung über Einzelverträge auf örtlicher oder regionaler Ebene ohne Berücksichtigung des Sicherstellungsauftrages der KV, d. h. ohne Prüfung des regionalen Bedarfes möglich.
Im Hinblick auf die Überwindung der Sektorgrenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung gehen die Selbstverwaltung und der Gesetzgeber des SGB V noch zwei weitere Schritte. Die Selbstverwaltung hat den Katalog der ambulanten, "stationsersetzenden" Dienstleistungen von Krankenhäusern (§ 115 b SGB V) verabschiedet, der Krankenhäuser einerseits in die Lage versetzt, andererseits aber auch verpflichtet, bestimmte operative und konservative Leistungen nunmehr ausschließlich oder fast ausschließlich ambulant zu erbringen. Im Rahmen der Neuregelung des SGB V (§116 b) sind die Krankenhäuser ferner für ambulante Leistungen in drei weiteren Fällen geöffnet worden:
Es bleibt also zu den Strukturveränderungen des GMG festzuhalten, dass der "große Wurf" eines echten multiprofessionellen, vom Sicherstellungsauftrag der KVen unabhängigen, wettbewerbsfähigen patientenorientierten Angebotes in Form eines Gesundheitszentrums an der Schnittstelle zwischen Krankenhaus und ambulanter Versorgung gescheitert ist.
Die verbliebenen Möglichkeiten im Rahmen der Versorgungszentren, der integrierten Versorgung und der Öffnung der Krankenhäuser für ambulante Angebote sind aber immerhin kleine Schritte auf einem richtigen, wenn auch langen Weg.
Das GMG in der jetzt verabschiedeten Fassung kennt nach wie vor das Modell der hausarztzentrierten Versorgung, wie es jetzt in § 73 b SGB V heißt, volkstümlich bekannt unter dem Stichwort "Hausarzt als Lotse". Dieses Modell ist jedoch nicht mehr verpflichtend, sondern freiwillig, d. h., die Versicherten können gegenüber ihrer Krankenkasse schriftlich erklären, dass sie Fachärzte nur noch auf Überweisung ihres Hausarztes in Anspruch nehmen möchten, sich für mindestens ein Jahr festlegen und dann ggf. einen Bonus, je nach Satzung ihrer Krankenkasse oder einer Befreiung von der Zuzahlungspflicht erhalten. Damit ist die Zuzahlungspflicht in der ambulanten Versorgung absolut zum Regelfall geworden und die völlig freiwillige Inanspruchnahme des Hausarztmodells und die Einführung eines finanziellen Anreizes seitens der Krankenkasse für ihren Versicherten zur Ausnahme geworden.
Mit dieser Aufweichung der Regelung zur hausarztzentrierten Versorgung sind auch die Ausnahmeregelungen für Augenärzte, Frauenärzte und Psychotherapeuten hinfällig geworden. Die noch in VPP-Heft 3/2003 angestellten Überlegungen zur gesundheitspolitischen Rolle der Psychotherapeuten und zum Erfordernis, Zugangsschwellen zur Psychotherapie abzubauen, treten in den Hintergrund.
Auch hier bleibt festzuhalten, dass der Versuch einer Strukturveränderung, bezogen auf die Steuerung der ambulanten Versorgung über ein finanzielles Zuzahlungs- und Anreizsystem gescheitert ist. An dieser Stelle betrachtet die DGVT das Scheitern durchaus mit ambivalenten Gedanken, da damit einerseits die leidige Debatte um das Erstzugangsrecht zur Psychotherapie vom Tisch ist, andererseits auch eine Chance zur stärkeren Strukturierung von Behandlungsprozessen verloren ging.
Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens hat sich die Regierungskoalition mit zwei Anliegen durchgesetzt:
1. Ärzte und Psychotherapeuten werden zu lebenslanger Weiterbildung verpflichtet und erstmals gibt es Sanktionen für diejenigen, die die erforderliche Qualifizierung nicht nachweisen.
§ 95 d SGB V definiert die Anforderungen an diese Pflicht zu fachlichen Fortbildung, überträgt die Qualitätssicherung für dieses Angebot den Kammern und beschreibt die Sanktionen für solche Ärzte und Psychotherapeuten, die nicht alle fünf Jahre gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung den Nachweis der Erfüllung ihrer Fortbildungspflicht bringen, von der Honorarkürzung bis zum Entzug der Zulassung.
2. Auch das Institut für Qualitätssicherung in der Medizin hat das Gesetzgebungsverfahren überlebt, allerdings in einer etwas anderen Gestalt.
Nach § 139 a SGB V wird es nun ein vom Gemeinsamen Bundesausschuss gegründetes Institut geben, das auch in der Rechtsform einer Stiftung privaten Rechts errichtet werden kann. Für alle wichtigen Entscheidungen ist Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung herzustellen. Damit ist die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen Träger des Institutes für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Von den sechs Aufgaben, die dem Institut zugewiesen sind, sind neben den wissenschaftlichen Überblicksrecherchen und den wissenschaftlichen Ausarbeitungen und Stellungnahmen, insbesondere die Bewertungen evidenzbasierter Leitlinien für epidimeologisch wichtige Krankheiten und die Abgabe von Empfehlungen zu Disease-Management-Programmen für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten von Bedeutung.
Interessant ist außerdem, dass dem Institut die Aufgabe der Bereitstellung von für alle Bürgerinnen und Bürger verständlichen allgemeinen Informationen zu Qualität und Effizienz der Gesundheitsversorgung aufgegeben ist. Damit wird ein weiteres Anliegen der Rot/Grünen Koalition deutlich, nämlich die Transparenz für die Nutzer und Nutzerinnen des Gesundheitswesens, um sie stärker zu emanzipieren und um - wo immer möglich - zu gleichberechtigten Gesprächspartnern für Ärzte und Psychotherapeuten zu machen.
Strukturveränderungen bringt das GMG aber nicht nur in Fragen der Qualitätssicherung, sondern auch bei der Organisation der Selbstverwaltungspartner und bei den Vorgaben für die Binnenstruktur der Akteure im Gesundheitswesen. Hier seien nur drei Beispiele kurz erwähnt:
Die Bundesausschüsse für Ärzte und Krankenkassen und für Zahnärzte und Krankenkassen werden zu einem "gemeinsamen Bundesausschuss" zusammengeführt ( § 91 SGB V). Erstmals ist in diesem gemeinsamen Bundesausschuss ausdrücklich die Beteiligung von Krankenhausvertretern geregelt. Die fachliche ärztliche Seite setzt sich nunmehr zusammen aus vier Vertretern der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, einem Vertreter der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung und vier Vertretern der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Auf Seiten der Krankenkasse sind drei Vertreter der AOK , zwei Vertreter des VdAK, je ein Vertreter der BKK, der IKK, der LKK und der Bundesknappschaft vorgesehen. Das besondere an dieser Konstruktion ist jedoch, dass sich die Zusammensetzung dieses Ausschusses themenbezogen stark verändern kann. So ist insbesondere bei Beschlüssen zu Richtlinien über die psychotherapeutische Versorgung geregelt, dass die Vertreterpositionen der ärztlich-fachlichen Seite auf zehn erhöht werden und davon fünf psychotherapeutisch tätige Ärzte und fünf Psychotherapeuten sind. Auf der Seite der Kassen wird die zusätzliche zehnte Stelle durch einen weiteren Vertreter der Ersatzkassen besetzt. Die Leitung dieses gemeinsamen Ausschusses übernimmt in jeder Konstellation ein neutraler Vorgesetzter und zwei weitere unparteiische Mitglieder.
Die Binnenstruktur der Kassenärztlichen Vereinigungen wird ebenfalls verändert. Die Wahlzeit der Vertreterversammlung erhöht sich von vier auf sechs Jahre, bei verbindlicher Einführung des Verhältniswahlrechtes, das erfahrungsgemäß Minderheitengruppen stärker berücksichtigt.
Die Gesamtzahl der Kassenärztlichen Vereinigungen soll reduziert werden durch Zusammenlegung innerhalb eines Bundeslandes, wenn in dem Bereich dieses Landes nicht mehr als 10.000 Ärzte / Psychotherapeuten tätig sind.
Um für mehr Transparenz zu sorgen, sind die Entschädigungszahlungen an die Vorstände der KVen öffentlich zu machen.
Ähnliche Vorgaben gelten auch für die Binnenorganisation der Krankenkassen. So werden einerseits die Verwaltungsausgaben der Krankenkassen eingefroren, andererseits zum Beispiel die Vorstandsgehälter offen gelegt. Das Sachleistungsprinzip wird partiell durchbrochen, dadurch dass Versicherte an Stelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung wählen können.
Diese Liste der Strukturveränderungen ist sicherlich nicht vollständig. Der Gesetzgeber hat hier versucht, an vielen kleine Schrauben zu drehen, um die tradierten Strukturen der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen flexibler und transparenter zu gestalten. In wieweit diese zahlreichen kleinen und kleinsten Veränderungen entsprechende Wirkungen zeigen werden, bleibt abzuwarten.
Die Veränderungen in der Finanzierungsstruktur der gesetzlichen Krankenversicherung haben sicherlich den breitesten Raum in der politischen Debatte eingenommen. Die mangelnde Finanzausstattung der gesetzlichen Krankenversicherung war schließlich Anlass und Motor der gesamten Strukturdebatte. Auch hier ist jedoch festzustellen, dass das GMG tiefgreifenden Strukturveränderungen zunächst ausweicht. Die alten Muster werden fortgeschrieben, die alten Schrauben bis zum Anschlag weiter gedreht:
Die Belastungsgrenze für die Versicherten beträgt wie im ursprünglichen Gesetzentwurf geplant 2 % der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt. Für chronisch Kranke ist sie auf 1 % abgesenkt. Bereits in VPP 3/2003 haben wir uns kritisch mit dieser Regelung auseinandergesetzt. Dieser Argumentation ist nichts hinzuzufügen, im Gegenteil, sie hat sich dadurch verschärft, dass Zuzahlungen in Form der Praxisgebühr bei allen ambulanten Dienstleistungen zu zahlen sind, unabhängig von der Frage des Vorliegens einer Überweisung. Auch Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten haben nun diese Praxisgebühr von ihren Patientinnen und Patienten zu erheben.
Einige niedergelassene Ärzte und Psychotherapeuten sehen diese Regelung jedoch als nicht nur negativ an, können ihr einen geringfügigen positiven Aspekt abgewinnen: Die vereinnahmte Praxisgebühr verbleibt beim niedergelassenen Arzt oder Psychotherapeuten und ist von der Abrechnung mit der KV in Abzug zu bringen, d. h. sie erhöht vorübergehend die Liquidität der niedergelassenen Praxis, ohne jedoch ihre Einnahmen insgesamt zu erhöhen.
Neben der finanziellen Belastung der Versicherten, die durch die Praxisgebühren, Zuzahlungsregelungen und Ausgrenzungen bestimmter Versicherungsleistungen das Gleichgewicht der paritätischen Finanzierung vollends aus dem Lot bringt, ist mit der Regelung an dieser Stelle ein hoher bürokratischer Aufwand verbunden. Inwieweit die Regelung, dass das Erreichen der Belastungsgrenze von den Krankenkassen festzustellen ist, was nur bei Offenlegung aller jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt der Versicherten möglich ist, einer rechtlichen Überprüfung standhält, bleibt abzuwarten. Bisher sind die Versicherten gegenüber ihrer Krankenversicherung verpflichtet, ihr sozialversicherungspflichtiges Einkommen offen zu legen, von dem die Beiträge kalkuliert wurden . Nun geht es um alle jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt, was über das sozialversicherungspflichtige Einkommen aus abhängiger Beschäftigung hinausgeht.
Durch die Ausweitung der Zuzahlungsregelungen werden außerdem viel mehr Versicherte diese Belastungsgrenze erreichen und es bleibt abzuwarten, wie die Offenlegungspflicht ausgestaltet wird und ob sie einer verfassungsrechtlichen Überprüfung standhalten wird.
Im Rahmen der Finanzierungsregelungen der gesetzliche Krankenversicherungen ist es aber im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zu einer weiteren Neuregelung gekommen, die für die Zukunft von großer Bedeutung sein könnte. Von der Öffentlichkeit fast unbemerkt sind in § 85 SGB V weitgehende Veränderungen eingeleitet worden, die insbesondere auch die zukünftige Vergütung psychotherapeutischer Leistungen betreffen. Erfreulicherweise regelt Absatz 4, Satz 4, nunmehr ausdrücklich, dass im Honorarverteilungsmaßstab Regelungen zu treffen sind, die eine "angemessene Höhe der Vergütung je Zeiteinheit" für psychotherapeutische Leistungen gewährleisten. Erfreulich ist die schrittweise Anpassung der Vergütung in den neuen Ländern an die Struktur der alten Bundesländer in § 85 Abs. 3d.
Fast unbemerkt von der öffentlichen Debatte ist jedoch in § 85 Abs. 6 für die Zukunft eine neue Strukturkomponente bei der Verteilung der Honorarmasse der Kassenärztlichen Vereinigung für die Leistungserbringer eingeführt worden, die sogenannten "Regelleistungsvolumina". Regelleistungsvolumina sind eine Strukturkomponente, die verbunden mit einem Morbiditätsfaktor arztgruppenbezogen ein Wachsen der Teilbudgets verhindern sollen, sofern es nicht morbiditätsbedingt ist. Für die Einführung dieses Systems ist eine Übergangszeit bis 2007 vorgesehen. Das neue System ist mit einer Unzahl von Fragen bezüglich der Konkretisierung und Umsetzung verbunden, auf die an dieser Stelle nicht eingegangen werden kann. Es wird aber sicherlich erforderlich sein, sich mit dieser neuen Form der Honorarverteilungsmaßstäbe intensiv auseinander zu setzten. Die DGVT wird diesen Umsetzungsprozess intensiv begleiten. Die Zeit kann auf Grund der vielen offenen Fragen noch nicht eingeschätzt werden, ob dies den Status der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten im Rahmen der Honorarverteilung der KV eher stabilisiert oder eher gefährden wird.
Die DGVT hat ihre Stellungnahme im Juli 2003 noch in der Hoffnung verfasst, auf den Gesetzgebungsprozess zum GMG Einfluss nehmen zu können. Die rasche Verabschiedung der sog. "Eckpunkte" im Rahmen einer kaum für möglich gehaltenen Kooperation zwischen Regierung und Opposition zeigte sehr schnell, dass an dem gefundenen Gesamtpaket nicht mehr zu rütteln war, da jede Detailveränderung den mühsam entwickelten Kompromiss in Frage gestellt hätte. Nun liegt das Gesetz mit seinen punktuellen Strukturveränderungen und seinen drastischen Finanzierungsvorgaben auf dem Tisch. Die nächsten Monate werden davon geprägt sein, die Umsetzung kritisch zu begleiten. Die DGVT hat sich vorgenommen, ihre Mitglieder, insbesondere bei praktischen Umsetzungsfragen, zu unterstützten. Solche Fragen werden sowohl bei den Wahlen zur Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung auftauchen, als auch bei der Umsetzung der Praxisgebühr und bei den Fragen des Nachweises von zertifizierten Fortbildungen zur Sicherung der Qualität der Arbeit. Die Einführung der sogenannten Regelleistungsvolumina bis 2007 wird ebenfalls unsere Einmischung erfordern.
Der Vorstand der DGVT bittet Sie, liebe Leserinnen und Leser, ihre Fragen frühzeitig zu formulieren. Wenn immer es möglich ist, werden wir Ihnen die Umsetzung der Vorschriften des GMG durch Informationen und Materialien erleichtern.
Mechthild Greive, Dortmund
Deutsche Gesellschaft
für Verhaltenstherapie e. V. (DGVT)
Neckarhalde 55
72070 Tübingen
22. Juli 2003
Das deutsche Gesundheitssystem mit seinen Sozialversicherungen und seinem Selbstverwaltungscharakter im Bereich der Gesundheitsvorsorge, der Alterssicherung und der Rehabilitation galt bei seinem Inkrafttreten im 19. Jahrhundert als revolutionär und über mehr als 100 Jahre als innovativ in seiner Struktur. Es basiert auf einer Finanzierung der notwendigen Angebote durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu gleichen Teilen, ist ein Ausdruck von gesellschaftlicher Solidarität und bietet den Versicherten und ihren Angehörigen ein hohes Maß an Versorgungssicherheit und Versorgungsqualität, unabhängig von Status, Alter und Gesundheitszustand.
Internationale Vergleiche zeigen, dass - gemäß dem Bruttoinlandsprodukt - die Bundesrepublik Deutschland zwar an dritter Stelle bei den Aufwendungen für das Gesundheitssystem steht, gleichzeitig aber Innovationsgrad und Qualität der Versorgung nicht Schritt halten. (Die Krankenhausversorgung im internationalen Vergleich, Stab-Finè-Schölkopf, Deutsche Krankenhausverlagsgesellschaft Düsseldorf 2003, S. 58 - 62.)
Hintergrund für die Krise des einst so stabilen Systems der gesetzlichen Krankenversicherung sind zahlreiche gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen. Der gesellschaftliche Alterungsprozess schreitet fort. Die Menschen haben nicht nur eine höhere Lebenserwartung; das Alter ist häufig mit gesundheitlichen Problemen verbunden. Krankheitsbilder werden komplexer. Der medizinische Fortschritt, die Heil- und Hilfsmittel sowie die medizinische Technologie verursachen hohe Entwicklungs- und Investitionskosten.
Die Quote der Erwerbstätigen in der Gesellschaft sinkt. Auch dies ist eine Folge der demographischen Entwicklung, aber auch eine Folge der Krise am Arbeitsmarkt. Damit gerät eine wesentliche Säule der gesetzlichen Krankenversicherung ins Wanken, nämlich die Anbindung ihrer Finanzierung an die Erwerbstätigkeit. Für die Menschen spielen gesetzliche Transferleistungen aber auch andere Einkommensarten (Kapitaleinkünfte, Mieten und Pachten etc.) eine immer größere Rolle zur Sicherung des Lebensunterhaltes.
Wurde das System der gesetzlichen Krankenversicherung im 19. Jahrhundert in erster Linie geschaffen für die abhängig Beschäftigten und ihre Familien, nahm also die Selbständigen ebenso wie die Beamtinnen und Beamten von diesem System aus, so ist auch hier ein Wandel im gesellschaftlichen Selbstverständnis zu verzeichnen. Die zunehmende Durchlässigkeit in der öffentlichen Verwaltung zwischen hoheitlichen, von Beamten wahrzunehmenden Aufgaben und anderen Verwaltungstätigkeiten sowie das Forcieren von selbständiger Tätigkeit über Gründungsoffensiven und "Ich-AGs" stellt die Dreiteilung des Systems in gesetzliche Krankenversicherungen, private Krankenversicherungen und bei staatlicher Beihilfe in Frage.
Es haben sich aber nicht nur die Finanzierungsgrundlagen verändert, sondern auch das Selbstverständnis von der öffentlichen und staatlichen Verantwortung für das Gesundheitswesen. Nachdem in der Energie- und Wasserversorgung und im öffentlichen Personennahverkehr der Wettbewerb eingezogen ist, wird auch das Gesundheitswesen von einer verstärkten Privatisierungswelle erfasst. Schnell ergibt sich die Frage, ob wir noch einen öffentlichen Sicherstellungsauftrag für das Gut "Gesundheit" brauchen oder ob man die Zahl der Ärzte, Krankenhäuser und Apotheken nicht dem Marktmechanismus und dem freien Wettbewerb überlassen kann.
Schließlich findet die gesamte Debatte um die Modernisierung des deutschen Gesundheitssystems vor einem ethisch-moralischen Hintergrund statt.
Betrachten wir schließlich die Rolle der Patientinnen und Patienten in diesem komplexen System. Sind sie die mündigen Bürger, die die Qualität der verschiedenen Angebote der medizinischen Leistungserbringer aufnehmen, kritisch abwägen und sich dann für ihre individuell richtige Leistung entscheiden oder brauchen sie einen medizinischen Fachmann, einen Hausarzt als Lotsen? Es bleibt offen, ob diese mündigen Patientinnen und Patienten sich bei mehr Transparenz über die Kosten der in Anspruch genommenen Dienstleistungen und Medikamente sachlich nüchtern für die gute und preiswerte Alternative entscheiden oder ob sie emotional und vielleicht auch mediengesteuert den Markenprodukten den Vorzug vor den No-Name-Angeboten geben und weiterhin der Philosophie nachhängen, dass die teurere Leistung vielleicht doch die besser sein könnte.
Bei diesem komplexen Hintergrund steht der deutsche Gesetzgeber - und zwar Bundestag und Bundrat - vor einer echten Herausforderung. Das Gesundheitsversorgungssystem ist so umzugestalten, dass es trotz der beschriebenen Veränderungen weiterhin sozial ausgewogen und möglichst gerecht, flächendeckend, qualitativ hochwertig, aber auch innovativ und auf Dauer finanzierbar ist.
Hierzu hat die Bundesregierung einen ersten Schritt unternommen und den Entwurf des Gesundheitssystemmodernisierungsgesetzes im Mai 2003 auf den Weg gebracht. Der Gesetzentwurf zeigt erste Schritte auf, erste mögliche Reaktionen auf die beschriebenen Veränderungsprozesse. Die Fachöffentlichkeit geht jedoch davon aus, dass es nicht bei diesen ersten Schritten bleiben kann. Die Regierung hatte bereits zuvor mit Einsetzung der Rürup-Kommission den Hinweis darauf gegeben, dass weitergehender Änderungsbedarf besteht. Die nachfolgende Stellungnahme wird sich daher nicht nur mit den Vorschlägen zum Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz (GMG) befassen, sondern in einzelnen Punkten auf weitergehende Änderungs- und Entwicklungsmöglichkeiten eingehen. Schwerpunkt der Betrachtung sollen dabei die psychotherapeutische Leistung sein und die Auswirkungen an das GMG auf die psychotherapeutischen und psychiatrischen Patientinnen und Patienten, die häufig langfristig, oft auch chronisch krank sind. Die Stellungnahme wird außerdem aus dem Blickwinkel der Anbieter von psychotherapeutischen Leistungen gegeben, den psychologischen Psychotherapeut/innen, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut/innen und ärztlichen Psychotherapeut/innen.
Die Stellungnahme gliedert sich in vier große Themenkomplexe: Zunächst soll die Frage betrachtet werden, welche Leistungen im System der gesetzlichen Krankenversicherung berücksichtigt werden. Der zweite Themenkomplex beschäftigt sich mit der Frage, in welcher Struktur diese Leistungen erbracht werden. Der dritte Bereich umreißt die möglichen Änderungen in der Finanzierung der Leistungen des Gesundheitssystems. Schließlich wird der vierte Themenkomplex sich mit der Rolle der Patientinnen und Patienten beschäftigen und mit der Verbesserung von Qualität und Transparenz im System.
Seit mehr als 25 Jahren setzt sich die DGVT mit vielen anderen Verbänden und Initiativen ein für die Gleichstellung von psychisch uns somatisch kranken Menschen. Nach den aufwühlenden Berichten zur Lage der Psychiatrie in Deutschland und den Vorschlägen der Expertenkommission zur Verbesserung der Situation psychisch Kranker in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts ist eine schrittweise Verbesserung zu verzeichnen. Der rasante Bettenabbau in der stationären Psychiatrie, der Aufbau von ambulanten und teilstationären Strukturen, die Etablierung der Berufe der psychologischen Psychotherapeut/innen und Kinder- und Jugendlichentherapeut/innen im Psychotherapeutengesetz und die Weiterentwicklung der Soziotherapie und der Rehabilitation psychisch Kranker im SGB IX sind wichtige Schritte auf diesem Weg.
Ein kurzer Rückfall in alte Diskriminierungsstrukturen psychotherapeutischer Patientinnen und Patienten drohte mit der Debatte um die Zuzahlungen für Psychotherapie und um die Ausgliederung der Psychotherapie als sog. "Wahlleistung" aus dem Katalog der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherungen.
Die DGVT begrüßt es, dass diese Diskussion offensichtlich beendet ist. Das GMG verfolgt diese Diskussionsansätze weder bei der Frage des Leistungskataloges der "notwendigen medizinischen Leistungen" noch bei der Frage der Zuzahlung weiter. Hoffnungsvoll nimmt die DGVT zur Kenntnis, dass die Gleichstellung von psychisch kranken und somatisch kranken Patientinnen und Patienten in diesem Gesetzentwurf weitgehend vollzogen wird.
Einen kleinen Wermutstropfen gibt es aber dennoch, da wo die vorgeschlagenen Zuzahlungsregelungen bei den Heil- und Hilfsmitteln und den Medikamenten chronisch kranke Patientinnen und Patienten betreffen. Trotz vorgesehener Härtefallklausel kann es hier zu einer Benachteiligung chronisch psychisch kranker Menschen kommen. Zuzahlungsregelungen sind immer eine Schwelle für Patientinnen und Patienten, insbesondere dann, wenn ihre Compliance auf Grund der Art der Erkrankung beeinträchtigt (oder auch eingeschränkt) ist. Die DGVT sieht daher die Notwendigkeit, chronisch psychisch kranke Menschen von Zuzahlungspflichten auszunehmen, da diese den Erfolg der Behandlung gefährden.
Hier birgt das GMG eine Fülle von Änderungsvorschlägen, die nicht nur in ihrer Vielzahl, sondern auch in ihrer Komplexität und Detailliertheit beeindruckend sind. Wie bei einem komplizierten Mobile zieht das Bewegen und Verändern an einer Stelle Bewegung und komplexe Veränderungen im gesamten System nach sich. Dennoch wird hier versucht, einzelne Elemente der Systemveränderungen gesondert zu betrachten.
Das GMG sieht neben den beiden traditionellen Angebotsformen der stationären Krankenhausangebote und der Angebote niedergelassener Praxen eine neue Anbieterform vor: das Gesundheitszentrum. Das Gesundheitszentrum ist eine Organisation oder Institution in privater oder öffentlicher Trägerschaft, in der angestellte Ärzte verschiedener Fachrichtungen und Psychotherapeut/innen gemeinsam mit Physiotherpeut/innen, Ergotherapeut/innen, Logopäd/innen und anderen Berufsgruppen ambulante Leistungen anbieten können. Für die Patientinnen und Patienten bieten Gesundheitszentren den Vorzug der integrierten Hilfe "aus einer Hand". Sie sind auch ein Angebot der kurzen Wege. Die Interdisziplinarität der Einrichtungen ist auch fachlich zu begrüßen. Aus der Sicht der Ärzt/innen und Therapeut/innen eröffnet sich mit der Möglichkeit, im Angestelltenverhältnis an der ambulanten Versorgung mitzuwirken, ohne als Selbstständiger hohe finanzielle Risiken eingehen zu müssen, ein attraktiver neuer Berufsweg.
Risiken birgt diese neue Organisationsform nach zwei Seiten. Die Finanzierung der Gesundheitszentren erfolgt über Einzelverträge mit den gesetzlichen Krankenkassen, die ihre neue Marktmacht dazu nutzen könnten, die Preise im Wege der Einzelvertragsverhandlungen zu drücken oder über "Mengenrabatte" Einseitigkeit und Spezialisierung der Angebote der Gesundheitszentren so weit zu fördern, dass die Ganzheitlichkeit der medizinischen Behandlung verloren geht. Diese Risiken realisieren sich jedoch nur, wenn die Krankenkassen sich allein von wirtschaftlichen und finanziellen Fragestellungen leiten lassen und die Qualität der Versorgung nicht gleichbedeutend mit in die Verhandlungen mit einbeziehen.
Ein weiteres Risiko birgt das Gesundheitszentrum in Richtung auf die heute bereits in niedergelassener Praxis tätigen Ärzt/innen und Psychotherapeut/innen. Hier entsteht durch die neue Angebotsform eine Konkurrenz. Inwieweit es gelingen wird, die bedarfsgerechte Versorgung sicher zu stellen und die neue Arbeitsform des Gesundheitszentrums in die heutigen Strukturen zu integrieren, wird im Wesentlichen von den Akteuren abhängen, die zukünftig die Sicherstellung der Versorgung zu verantworten haben. Hier wächst im ambulanten Bereich zukünftig den Krankenkassen neben den Kassenärztlichen Vereinigungen eine hohe Bedeutung zu. Ob die bisher im GMG vorgesehenen Strukturen ausreichend sind, ist offen. Hierzu wird unter dem Punkt "Steuerung der Leistungsstrukturen" noch Stellung zu beziehen sein.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass die DGVT die Chancen der neuen Organisationsform der Gesundheitszentren weit höher bewertet als die damit verbundenen Risiken. Die DGVT hat sich seit ihrer Gründung vor mehr als 35 Jahren für integrierte Versorgungsmodelle eingesetzt. Das Gesundheitszentrum ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Die DGVT stellt fest, dass damit auch erfolgreiche Elemente der poliklinischen Versorgung wieder aufgegriffen werden, die in der ehemaligen DDR jahrzehntelang positive Effekte auf die Gesundheitsversorgung gehabt haben und mit der Wiedervereinigung zunächst überwiegend verschwunden waren (Strukturen der Gesundheitsversorgung in den neuen Bundesländern, Fachtagung der DGVT am 7. und 8. Dezember 1992 in Berlin, herausgegeben von Vogel, Sonntag und Deubert, Tübingen 1993).
Neben diesem grundlegend neuen Baustein der ambulanten Versorgung "Gesundheitszentrum" bietet das GMG zusätzliche Weiterentwicklungen der Versorgungsstruktur an. Es sind dies vor allen Dingen Mischformen wie die Öffnung der Krankenhäuser und die Weiterentwicklung integrierter Versorgungsmodelle.
Die Öffnung der Krankenhäuser ist für drei Fälle vorgesehen: als Mitwirkung in Disease-Management-Programmen (DMP) bei bestimmten chronischen Erkrankungen, als institutionelle Ermächtigung bei hochspezialisierten Leistungen und als persönliche Ermächtigung einzelner Krankenhausärzte bei festgestellter Unterversorgung.
Mit diesen Strukturvorgaben geht das GMG einen kleinen Schritt über die heutige Situation hinaus, wagt jedoch nicht den großen Wurf. Viel wird davon abhängen, wie die Organe der Selbstverwaltung mit diesem vom Gesetzgeber eröffneten Rahmen umgehen. So ist z. B. in Vereinbarungen festzulegen, welche hochspezialisierten Leistungen in Institutsambulanzen erbracht werden dürfen. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass die Organe der Selbstverwaltung sich schwer tun mit einvernehmlichen Regelungen darüber, welche Diagnosen oder Patientengruppen von solchen sektorübergreifenden Angeboten erfasst werden sollen. Dies haben nicht zuletzt die langwierigen Verhandlungen über die Disease-Management-Programme oder die ambulanten Krankenhausleistungen gezeigt.
Die Zurückhaltung des Gesetzgebers bei der Öffnung der Krankenhäuser zeigt sich auch an einer anderen Stelle. So bleibt es Krankenhäusern zumindest nach dem Text der Begründung des Gesetzentwurfes verwehrt, selbst Gesundheitszentrum zu sein. Die Errichtung von Gesundheitszentren an Krankenhäusern wäre aber eigentlich ein konsequenter Schritt in die richtige Richtung und würde manche bürokratische und komplizierte Vereinbarung über die Öffnung von Krankenhäusern für bestimmte hochspezialisierte Leistungen obsolet machen. An dieser Stelle würden nämlich die mündigen Patientinnen und Patienten darüber entscheiden, wem sie ihr Vertrauen auch für die ambulante Behandlung schenken möchten.
Kritisch sei auch für die sog. integrierte Versorgung angemerkt, dass der Gesetzgeber nur kleine Schritte in Richtung der Unterstützung integrierter Versorgungsmodelle geht. Zwar wird das integrierte Versorgungsmodell aus dem Status des Modellversuchs herausgeholt und zu einem Regelfall gemacht, gleichzeitig bleibt die Teilnahme der Versicherten - ähnlich wie bei den Disease-Management-Programmen freiwillig. Gesteuert wird lediglich über ein Anreizsystem, ein Bonussystem bei den Heil- und Hilfsmitteln bzw. optional bei den Krankenversicherungsbeiträgen, wobei dies den einzelnen Krankenkassen und ihren Satzungen überlassen bleibt.
Die DGVT begrüßt die Öffnung der Krankenhäuser und die Anreizsysteme für Disease-Management-Programme sowie integrierte Versorgungsmodelle. Sie sieht jedoch mit Skepsis, wie viele Zwischenschritte notwendig sind, um diese vom Gesetzgeber eröffneten Möglichkeiten zum Leben zu erwecken. Sie appelliert an die Innovationskraft von Selbstverwaltungspartnern, von diesen Optionen des Gesetzgebers Gebrauch zu machen.
In der Bundesrepublik Deutschland hat das Rechtsgut "Gesundheit" einen hohen Stellenwert. Eine flächendeckende und bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung wird daher als staatliche Aufgabe angesehen. Für die Krankenhausplanung ist die Zuständigkeit bei den Ländern angesiedelt, für die ambulante Versorgung ist der sog. Sicherstellungsauftrag den Kassenärztlichen Vereinigungen übertragen. In diese tradierten Strukturen greift das GMG ein. Es splittet den Sicherstellungsauftrag für die ambulante Versorgung und überträgt ihn über das System der sog. Einzelverträge über den fachärztlichen Bereich auf die Krankenkassen. Der Bereich der Hausärzte und derjenigen Facharztgruppen, zu denen ein Erstzugangsrecht der Patientinnen und Patienten weiterhin bestehen soll (Frauenärzte, Augenärzte) bleibt bei den Kassenärztlichen Vereinigungen. Gleichzeitig gilt Bestandsschutz für alle Ärzt/innen, die heute in einer niedergelassenen Praxis arbeiten. Sobald ein Kassenarztsitz frei wird, ist er in das neue System überzuleiten.
Für den Bereich der stationären Versorgung bleibt es bei der Zuständigkeit der Länder für die Krankenhausbedarfsplanung, die allerdings nicht mehr nach Betten, sondern in konsequenter Fortführung des Fallpauschalensystems nach Leistungsmengen, die auf der Basis des Jahres 2005 entwickelt werden sollen. Die Landesregierung hat für die bedarfsgerechte Versorgung im stationären Bereich zwingend mit den Krankenkassen Einvernehmen herzustellen. Die Leistungserbringer, die Krankenhausträger, sind in diesem Verfahren lediglich anzuhören.
Durch diese Vorschläge zur Neuregelung der Planung und Steuerung im Gesundheitswesen erhalten die Krankenkassen eine herausragende Steuerungsfunktion. Auch hier stellt sich wiederum die Frage, ob die Krankenkassen mit dieser hohen Verantwortung für das Volksgut "Gesundheit" sachlich und fachlich offen umgehen werden oder ob sie sich dem Finanzierungsdiktat knapper werdender Finanzmittel beugen. Die DGVT schätzt die enorme Stärkung der Rolle der Krankenkassen als zumindest risikoreich ein.
Im Sinne einer guten bundesdeutschen Tradition stellt sich hier die Frage, warum es nicht bei einer staatlichen Steuerung der Bedarfsplanung bleibt. Hier wäre z. B. über eine neu zu schaffende Funktion für die örtliche Gesundheitsverwaltung der Kreise und kreisfreien Städte nachzudenken. Wenn der Gesetzgeber der kommunalen Selbstverwaltung die Verantwortung überträgt, sei es für einen Altenhilfebedarfsplan, für Rettungsdienstbedarfspläne und Brandschutzbedarfspläne, für Abfallwirtschaftskonzepte und für Nahverkehrspläne, dann muss die Frage gestattet sein, warum nicht zumindest für den ambulanten Bereich auch kommunale Gesundheitsversorgungspläne sachgerecht sind. Kreise und kreisfreie Städte könnten je nach regionalen Besonderheiten im neutralen und wohlverstandenen Interesse der Patientinnen und Patienten den Prozess der Bedarfsplanung steuern.
In ebenfalls guter bundesdeutscher Tradition sollten alle Akteure der Gesundheitsversorgung in Planungskonferenzen zusammengeführt werden. Grundlage solcher Planungs- bzw. Gesundheitskonferenzen ist eine kontinuierliche Gesundheits- und Sozialberichterstattung (auf der kommunalen, Länder- und Bundesebene). Für den Bereich der Krankenhausplanung - im Bereich der Häuser mit überregionalem Einzugsgebiet (Häuser der Maximalversorgung, Universitätskliniken) - müssten ggf. größere Regionen gebildet werden. Aber auch hierfür ließe sich unter dem Dach der kommunalen Selbstverwaltung sicherlich eine sachgerechte Lösung herstellen. In Nordrhein-Westfalen sind bereits heute Gesundheitskonferenzen - moderiert von den örtlichen Gesundheitsämtern - eingerichtet. Es stellt sich die Frage, ob dies nicht der geeignete Ort wäre, um auch eine sachgerechte kommunale bzw. regionale Gesundheitsbedarfsplanung zu installieren.
Ein weiteres Strukturmerkmal des GMG ist die viel beschworene Funktion "Hausarzt als Lotse". Um den Patientinnen und Patienten von Behandlungsbeginn an einen systematischen Weg durch das Gesundheitswesen zu bahnen, soll der Hausarzt, der umfassender qualifiziert und finanziert werden soll als nach dem heutigen Modell, den Weg der Patientinnen und Patienten durch den medizinischen Dschungel von Diagnose und Therapie begleiten. Das Modell hat sicherlich auch vor dem Hintergrund der Diskussion um integrierte Versorgungskonzepte viel Charme. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob es die Autonomie des sog. mündigen Bürgers entsprechend berücksichtigt. Für den mündigen Patienten / die mündige Patientin gibt es spezielle Direktzugangsmöglichkeiten zu einzelnen Facharztgruppen, wie Gynäkologie und Augenheilkunde, da es sich hier um spezielle Behandlungsbedarfe handelt, so dass jede Patientin und jeder Patient in der Lage sein dürfte, die korrekte Zuordnung zu dieser Arztgruppe für sich zu definieren. Auch ist wegen der hochspezifischen Diagnostik in diesen Bereichen die Wahrscheinlichkeit von Doppeldienstleistungen eher gering.
Das gleiche lässt sich sachgerecht auch für die psychotherapeutische Behandlung beschreiben. Es ist daher ein gewisser Widerspruch, dass im Lotsenmodell des Hausarztes einerseits eine Ausnahmeregelung für psychologische Psychotherapie und Kinder- und Jugendlichentherapie nicht vorgesehen ist, andererseits aber bei der Sanktionsregelung (Praxisgebühr für Nichteinhalten des Hausarztmodells) die psychologische Psychotherapie als Ausnahmetatbestand gesehen wird.
Die DGVT fordert daher, dass es von Anfang an ein Direktzugangsrecht zur Psychotherapie geben muss und zwar sowohl für psychologische Psychotherapie und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie als auch für ärztliche Psychotherapie. Dies hat einerseits den Hintergrund, dass psychologische Psychotherapeut/innen keine "Fachärzte" sind. Die Psychotherapie ist eine eigenständige Heilbehandlung, wie dies jetzt auch eindeutig durch das Psychotherapeutengesetz festgelegt ist. Psychologische Psychotherapeuten haben keine ärztliche Basisqualifikation, ebenso haben aber auch Hausärzte keine psychotherapeutische Basisqualifikation. Insofern ist hier weder Doppeldiagnostik zu befürchten, noch überhaupt im Bereich der Eingangsdiagnostik wechselseitige Fachlichkeit vorhanden.
Das Modell der Genehmigung von psychotherapeutischen Behandlungen (Gutachterverfahren, Einzelkostenzusage) stellt außerdem sicher, dass vor Entstehen kostenintensiver Behandlungen im Rahmen einer Psychotherapie die Krankenkasse bereits steuernd eingegriffen hat. Es besteht also auch aus wirtschaftlicher Sicht keine Notwendigkeit, den Patientinnen und Patienten den direkten Erstzugang zur Psychotherapie zu verwehren.
Auch gesundheitspolitisch ist dies ein wichtiges Thema. Viele Patientinnen und Patienten empfinden den Weg in die Psychotherapie als schwierig und trotz der zahlreichen Bemühungen um Gleichstellung von psychotherapeutischer und somatischer Medizin als diskriminierend. Die zusätzliche Hürde, dem Hausarzt, der oft auch die Familienmitglieder und die sozialen Verhältnisse der Patientinnen und Patienten gut kennt, sein psychisches Problem darzulegen, bevor ein psychologischer Psychotherapeut als Fachperson konsultiert wird, ist eine Schwelle, die gesundheitspolitisch genau den gegenteiligen Effekt haben könnte, nämlich Patientinnen und Patienten von einer Inanspruchnahme einer dringend erforderlichen Psychotherapie abzuschrecken.
Gesundheitspolitisch ist hier nach wie vor das Absenken der Zugangsschwelle erforderlich, da erfahrungsgemäß Patientinnen und Patienten erst Jahre nach Auftreten einer psychischen Störung den Weg in die Psychotherapie finden. Es ist auch erwiesen, dass sie diesen Weg in einem Großteil der Fälle eben gerade nicht über den Hausarzt oder eine andere ärztliche Zuweisung finden, sondern auf Grund des persönlichen Leidensdrucks oder auf Grund von Medienberichterstattung oder Hinweisen aus dem Freundes- und Bekanntenkreis.
So verlockend es also sein mag, die Gleichstellung mit den "Fachärzten" an dieser Stelle zu sehen, eine Gleichstellung, die vor dem Hintergrund von tariflichen Eingruppierungsfragen für angestellte Psychotherapeuten sicherlich erstrebenswert ist, so schwierig ist in diesem Kontext die Gleichstellung von psychologischen Psychotherapeuten und Fachärzten in der Zugangsstruktur der gesetzlichen Krankenversicherung.
Breite Zustimmung fand im Rahmen der Vorschläge des GMG-Entwurfes sicherlich nur ein Lösungsansatz zur Finanzierung des Gesundheitssystems, nämlich der Vorschlag, versicherungsfremde Leistungen zukünftig aus Steuermitteln zu finanzieren.
Die Erhöhung des Bundeszuschusses für diese versicherungsfremden Leistungen, die eigentlich familienpolitische Leistungen und damit ein Ausdruck der gesellschaftspolitischen Schwerpunkte der Bundesrepublik Deutschland sind, sind allerdings nach allgemeiner Auffassung so bemessen, dass sie die tatsächlichen Kosten dieser familienpolitischen Leistungen nicht abdecken. Es ist ein gestaffeltes Finanzierungssystem für die nächsten Jahre vorgesehen, beginnend mit 1 Milliarde Euro in 2004, 1,5 Milliarden Euro in 2005 bis auf 2 Milliarden Euro in 2006. Gleichzeitig gehen Fachleute davon aus, dass es einen heute schon festgeschriebenen Bedarf von 3 - 3,5 Milliarden Euro jährlich für die beschriebenen Leistungen gibt.
Die DGVT befürwortet daher eine konsequente Lösung, die eigentlich nur darin liegen kann, den vollen Betrag für diese versicherungsfremden Leistungen aus einem Bundeszuschuss und damit aus Steuermitteln zu finanzieren.
Ein weiterer Vorschlag beinhaltet das Herausnehmen bestimmter Leistungen als"versicherungsfremd" zu Lasten der Versicherten selbst. Hier geht es zum einen um das Sterbegeld, zum anderen um das Entbindungsgeld und drittens um die Sehhilfen. Auf Grund der für den einzelnen Versicherten eher geringfügigen Belastung und insbesondere die beim Sterbegeld vorhandene Möglichkeit einer langfristigen privaten Absicherung, scheint hier die vorhandene Belastung der Versicherten zumindest nachvollziehbar.
Schwieriger sind hier sicherlich die weitergehenden Vorschläge, die die Versicherten in wesentlich größerem Maße belasten. Hier wird vorgeschlagen, das Krankengeld zwar in der gesetzlichen Krankenversicherung zu belassen, es jedoch aus der paritätischen Finanzierung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer herauszunehmen und die Finanzierung einseitig den Versicherten zu überlassen. Gleichzeitig geht es um die Erhöhung von Zuzahlungen zu Medikamenten und Heilmitteln und um die Einführung von Praxisgebühren, wenn das Hausarztmodell nicht gewählt wird und Fachärzte direkt aufgesucht werden. Es geht ferner auch um die Belastung von selbständigen Einkünften der Rentnerinnen und Rentner mit Sozialversicherungsbeiträgen und - zwar im GMG noch nicht vorgesehen aber aktuell in der politischen Diskussion - um die private Absicherung "privater Risiken", d. h. um die private Absicherung von Sport-, Freizeit- und Haushaltsunfällen.
Die DGVT sieht diese Regelungsvorschläge insgesamt mit Bedenken. Einige dieser Vorschläge führen zu einer enormen Bürokratie (Zuzahlungen, Praxisgebühren), andere zu schwierigen Abgrenzungsfragen, die aller Voraussicht nach zahlreiche Rechtsstreitigkeiten zur Klärung nach sich ziehen werden (Absicherung privater Risiken). Allen Regelungsvorschlägen ist gemeinsam, dass sei einseitig die Versicherten belasten und die Arbeitgeber entlasten. Die Frage, wie eine solche Umverteilung der Lasten sozial ausgewogen geschehen kann und welche Härtefallregelungen, insbesondere für chronisch kranke Menschen, sachgerecht sind, dürfte eine erneute und separate Debatte auslösen. Sollten diese Regelungen Platz greifen, was nach dem Verlauf der Diskussion zwischen Bundesregierung und Opposition im Moment zu erwarten ist, wird die DGVT sich intensiv dafür einsetzen, insbesondere für chronisch kranke Patientinnen und Patienten sachgerechte Härtefallregelungen zu finden, um zumindest ein Minimum an sozialer Gerechtigkeit zu bewahren.
Führt man die zur Finanzierungsfrage begonnene Diskussion konsequent weiter, so wird deutlich, dass es mit Praxisgebühren, Zuzahlungsregelungen und dem Ausgliedern einzelner Leistungen aus dem System der gesetzlichen Krankenversicherung nicht getan ist. Insbesondere die ausschließliche Anbindung der Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherungen an das Erwerbseinkommen der Versicherten wird vor dem Hintergrund demographischer und arbeitsmarktpolitischer Entwicklungen auf Dauer zu einer Unterfinanzierung führen. Es müssen daher drei Strukturthemen angefasst werden:
Zunächst muss die Einnahmebasis verbreitert werden. Denn - so Michael Opielka in der Frankfurter Rundschau vom 24.07.2003 - "das größte Finanzierungsproblem der gesetzlichen Kassen ist die Schrumpfung ihrer Beitragsbasis. "Besserverdienende" wandern in die Privatversicherungen, die am Risikostrukturausgleich nicht beteiligt sind. Und die relativ steigenden Vermögens- und Mieteinnahmen werden an den Sozialversicherungen vorbeige- erntet". Es sind also alle Einkommensarten in die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung einzubeziehen. Es kommen also Einkommensarten aus Kapitalvermögen, Vermietung, Verpachtung und ähnliches hinzu. Diese Einkommensarten - entweder mit dem halben Beitragsaufkommen wie es der paritätischen Finanzierungslogik der GKV entspricht oder auch mit einem vollen Beitragssatz - auf der Basis des zu versteuernden Gesamteinkommens laut Steuerbescheid festzulegen, ist zumindest eine mittelfristige Perspektive, um die Einnahmesituation zu verbessern. Sie deckt sich auch mit der gesellschaftlichen Entwicklung, dass Menschen, insbesondere im Rentenalter, komplexe Finanzierungen für ihren Lebensunterhalt bevorzugen und sich nicht allein auf Rentenzahlungen als Einkommen beschränken. Die Einbeziehung aller Einkommensarten würde diesen gesellschaftlichen Wandel also nur konsequent mit einbeziehen.
Eine noch weitergehende Veränderung wäre das Einbeziehen aller Personengruppen in die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Hier werden zur Zeit zwei Modelle diskutiert: das Modell einer "Bürgerversicherung" oder das Modell einer "Kopfpauschale". Diese Diskussion wurde auch in der Rürup-Kommission intensiv geführt. Beiden Modellen ist gemeinsam, dass sie alle Erwachsenen in die Versicherungspflicht mit einbeziehen, unabhängig von ihrem beruflichen Status als Angestellte, Selbständige oder Beamte. Dieses Modell bringt aber auch eine Auflösung der privaten Krankenversicherung mit sich. Es können an dieser Stelle nicht alle Pro- und Contra-Argumente der unterschiedlichen Versicherungsmodelle benannt werden. Die DGVT kann sich insgesamt eine Öffnung der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung für alle in Deutschland lebenden Erwachsenen vorstellen.
Aus familienpolitischer Sicht sollte es bei einer Versicherungsfreiheit von Kindern bzw. bei Mitversicherungssystemen über die Eltern bleiben. Gleichzeitig ist sich die DGVT bewusst, dass die sozial ausgewogene Ausgestaltung des Systems "Bürgerversicherung" oder "Kopfpauschale" noch einen breiten Diskussionsraum benötigt, da die unterschiedlichen Systeme unterschiedliche Bevölkerungsgruppen (Familien, Rentner, Sozialhilfeempfänger) unterschiedlich stark betrifft und es hier ein sicherlich kompliziertes System des sozialen Ausgleiches braucht.
Der DGVT ist auch bewusst, dass hier Bestandsrechte von Verfassungsrang berührt sind, wie die "hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums" oder die Besitzstandswahrung für Rentnerinnen und Rentner und der Vertrauensschutz in die Finanzierung der Alterssicherung. Eine Weiterentwicklung des Finanzierungssystems der GKV über "Bürgerversicherung / Kopfpauschale" kann also nur ein langsamer gesellschaftlicher Gestaltungsprozess sein. Ein erster vorsichtiger Schritt in diese Richtung könnte allerdings in einem Anheben der Pflichtversicherungsgrenze auf die Höhe der Rentenversicherungsgrenze sein, ohne dass dies gleich die wirtschaftliche Existenz der privaten Krankenversicherer bedrohen dürfte.
Ein weiterer Strukturvorschlag findet bisher auch in der Debatte der Rürup-Kommission nur wenig Beachtung. Möglicherweise lassen sich große Synergieeffekte und Wirtschaftlichkeitsreserven im Gesundheitsversorgungssystem erzielen, wenn die Bereiche Prävention, Behandlung, Rehabilitation sowie Pflege jeweils sachgerechter mit finanziellen Mitteln ausgestattet würden und ihre Strukturen und Finanzierungssysteme vereinheitlicht würden.
Die DGVT fordert eine intensive Auseinandersetzung mit dieser Thematik, insbesondere vor dem Hintergrund, dass gerade bei psychischen Störungen und psychiatrischen Erkrankungen den Bereichen von Prävention und Rehabilitation eine enorme Bedeutung zukommt, die sich in der Finanzausstattung dieser Bereiche derzeit nicht widerspiegeln. Gleichzeitig zeigt die täglich Arbeitspraxis in der Psychotherapie immer wieder, dass Zuständigkeitsfragen zwischen verschiedenen Kostenträgen entgegen anders lautenden gesetzlichen Regelungen immer wieder auf dem Rücken der Patientinnen und Patienten ausgetragen werden. Hier ist eine intensive Strukturdiskussion notwendig.
Der Entwurf des GMG sieht zum Thema Qualitätssicherung verschiedene Verbesserungsvorschläge vor. Über ein Institut für Qualitätssicherung in der Medizin soll die leitliniengestützte Behandlung vorangebracht werden und die Entscheidung über neue Behandlungsmethoden aus den manchmal schwierigen und stark von Lobbyisten beeinflussten Verhandlungen der Selbstverwaltungsorgane gelöst werden. Mit vorsichtiger Skepsis sei die Frage erlaubt, ob eine neue Behörde, wie sie das Institut für Qualitätssicherung in der Medizin darstellt, tatsächlich in der Lage sein wird, die ihm zugedachten Aufgaben in ihrer Komplexität mit der nötigen Flexibilität zu bewältigen, ohne Innovation in der Medizin und in der Psychotherapie zu behindern. Konzeptionell sind die im Gesetzesentwurf angestellten Überlegungen unterstützenswert. Das Institut für Qualitätssicherung in der Medizin braucht aber eine Ausstattung und einen Rahmen, der die Bewältigung dieser schwierigen Aufgabe zeitnah und flexibel möglich macht.
Zur Qualitätssicherung in den niedergelassenen Praxen und zur Weiterbildungsnotwendigkeit niedergelassener Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten hat sich die DGVT immer positiv geäußert und hier bereits intensive praktische Vorarbeit geleistet. Hier geht der Gesetzgeber Schritte in die richtige Richtung. Allerdings sollte sorgfältig darauf geachtet werden, dass nicht ein Ausmaß an Bürokratisierung aufgebaut wird, das die wünschenswerten Effekte zunichte macht.
Die Vorschläge, die das GMG zur Transparenz und Kontrolle für Patientinnen und Patienten eröffnet, sei es über die Chipkarte, über die Patientenquittung oder über das Installieren von Patientenbeauftragten in verschiedenen Verhandlungs- und Kontrollgremien, sieht die DGVT positiv. Jahrelange und Jahrzehntelange Zusammenarbeit mit Selbsthilfegruppen und Organisationen von Betroffenen und Angehörigen haben gezeigt, dass diese sachkundige und selbstbewusste Partnerinnen und Partner in Behandlungs- und Strukturfragen sind. Sofern die Fragen des Datenschutzes im Hinblick auf die Patientenquittung und die technischen Fragen bei der Chipkarte sowie der elektronischen Patientenakte einwandfrei lösbar sind, steht diesem Zuwachs an Transparenz sicherlich nichts im Wege. Ob die damit verbundene Steuerungsfunktion allerdings eintritt, bleibt abzuwarten.
Diese Stellungnahme macht in ihrer Komplexität deutlich, dass der Entwurf des Gesundheitssystemmodernisierungsgesetzes eine Vielzahl von Diskussionsprozessen angestoßen hat. Ob er geeignet ist, das Gesundheitssystem in Deutschland zu verändern, auch wenn es im Rahmen der Finanzierungsdiskussion sicherlich nur ein erster Schritt ist und in Kürze hier mit wesentlich weitergehenden Veränderungen zu rechnen ist, bleibt abzuwarten.
Diese Stellungnahme ist nicht bis in die Details des GMG umfassend. Fragen der Vergütung und Abrechnung in der ambulanten Psychotherapie, die zukünftige Struktur der Kassenärztlichen Vereinigungen und neue Vorgaben für Wirtschaftlichkeitsprüfungen der Krankenkassen sowie Strukturvorgaben für die Fusion von Krankenkassen fordern innerverbandlich noch intensive Diskussionsprozesse, bevor es hier eine fundierte Stellungnahme geben kann.
Kurz vor Redaktionsschluss dieser Zeitschrift wurden die Eckpunkte des politischen Konsenses aller im Bundestag vertretenen Fraktionen zum Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz bekannt. Leider liegt der Text dieses Eckpunktepapiers noch nicht öffentlich vor. Aus den Darstellungen in den Medien und aus Informationen, die NRW-Gesundheitsministerin Birgit Fischer auf der Tagung der Nordrhein-Westfälischen Krankenhausgesellschaft am 22.7.2003 vorgestellt hat, ergibt sich folgendes Bild:
Viele der Vorschläge zur Strukturveränderung im Rahmen des GMG werden aufrecht erhalten. So bleibt es beim Hausarztmodell, bei der Öffnung der Krankenhäuser, bei der Errichtung von Gesundheitszentren, die jetzt allerdings Versorgungszentren heißen sollen. Gleichzeitig wurden manche Strukturveränderungen aber relativiert, was die Veränderungskraft des Gesetzentwurfes deutlich zurücknimmt.
Ein Beispiel hierfür ist die Diskussion um die Gesundheitszentren. Landes-Gesundheits-ministerin Fischer berichtete, dass solche Gesundheits- bzw. Versorgungszentren zukünftig nur in den Regionen eingerichtet werden können, in denen eine Unterversorgung festgestellt worden sei. Offen blieb, wer diese Unterversorgung nach welchen Kriterien festlegt. Sollte es hier bei einer Zuständigkeit der Kassenärztlichen Vereinigung bleiben, muss davon ausgegangen werden, dass dies zumindest für die westlichen Bundesländer das Aus für die Gesundheitszentren bedeutet. Die DGVT bedauert diesen Rückschritt ausdrücklich.
Im Rahmen der Finanzierungsvorschläge ist die Verhandlungskommission offenbar dem Prinzip "sowohl - als auch" gefolgt. Das bedeutet, dass unter dem größten gemeinsamen Nenner aller Verhandlungspartner die Belastung für die Versicherten und die kranken Menschen gestiegen ist bei gleichzeitig weitergehender Entlastung für die Arbeitgeber.
Bedauerlich ist aus Sicht der DGVT insbesondere die Regelung, dass auch chronisch kranke Menschen nun eine Einkommensbelastung bis zu 1 % des Jahreseinkommens hinnehmen müssen. Neben die Beeinträchtigung der Lebensqualität durch die chronische Erkrankung auf Dauer und die körperliche und psychische Belastung sowie den hohen Zeitaufwand, den eine solche Erkrankung in der Regel mit sich bringt, tritt nun die deutlicher gewordene finanzielle Belastung.
Die DGVT fordert die Gesetzgebungsorgane ausdrücklich auf, hier den sozialen Ausgleich über Ausnahme- und Härtefallregelungen wieder herzustellen.
Ein weiteres strukturveränderndes Merkmal hat bisher in den Medien und in der öffentlichen Diskussion noch keine weitergehende Beachtung gefunden. Es handelt sich hier um die Regelung, dass die sektoralen Finanzierungsbudgets aufgehoben werden sollen, zugunsten von sog. Leistungsvolumina, die bestimmten Erkrankungen zugeordnet werden sollen, unabhängig davon, ob die Behandlung im stationären oder ambulanten Bereich erfolgt. Diese Leistungsvolumina sollen auf der Basis bei den Krankenkassen vorliegender Werte ermittelt werden und jährlich unter Berücksichtigung eines Morbiditätsfaktors fortgeschrieben werden. Dieser Vorschlag, der bisher auch nur in Thesenform bekannt geworden ist, würde in der Tat eine tiefgreifende Veränderung in den Finanzierungsstrukturen der gesetzlichen Krankenversicherung bedeuten. Er würde über die Auflösung der sektoralen Budgets die Chancen integrierter Versorgungsmodelle deutlich verbessern. Ein solcher Schritt ist aus Sicht der DGVT sicherlich zu unterstützen.
Diese drei Beispiele mögen zeigen, dass eine Überarbeitung des Gesetzentwurfes auf der Basis des politischen Konsenses mit Spannung erwartet werden darf.
Der Vorstand der DGVT wird Sie, liebe Leserinnen und Leser, über die weiteren Entwicklungen und ihre Auswirkungen auf die psychotherapeutische Arbeit unterrichten (Homepage der DGVT: www.dgvt.de). Wir möchten mit dieser Stellungnahme eine innerverbandliche Diskussion anregen und unterstützen und freuen uns über Ihre Rückmeldungen.