Bericht über den 45. Deutschen Psychotherapeutentag am 15./16. November 2024 in Berlin
Am Vorabend des zweiten Deutschen Psychotherapeutentags (DPT) in diesem Jahr fand die Verleihung des Diotima-Ehrenpreises der Psychotherapeut*innenschaft an Prof. Dr. Silvia Schneider, Bochum, und Peter Lehndorfer aus Planegg bei München statt. Beide ha-ben sich in den letzten Jahrzehnten und bis heute um die Etablierung und den Ausbau der Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen verdient gemacht. Peter Lehndorfer hat als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut nachhaltig dazu beigetragen, dass die frühere Spe-zialisierung des*der analytische/n Psychagogen/in als akademischer Heilberuf Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*in in das Psychotherapeutengesetz 1998 gleichberechtigt Eingang fand. Er hat in den folgenden Jahren bzw. Jahrzehnten als Mitglied des Vorstandes der bayerischen Psychotherapeutenkammer und der Bundespsychotherapeutenkammer zentral die Integration dieser Fachrichtung in der Versorgung vorangetrieben. Silvia Schneider hat als Professorin für Klinische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie den stetigen Ausbau der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie als gleichwertiges Lehr- und Forschungsgebiet in den Psychologischen Instituten der Universitäten und damit zugleich in der seit kurzem laufenden neuen Psychotherapieausbildung gefördert. Und sie koordiniert seit wenigen Jahren den Standort Bochum-Marburg im Deutschen Zentrum für Psychische Gesundheit, der maßgeblich psychologisch-psychotherapeutisch ausgerichtet ist. Eine sehr schöne und wertschätzende Festveranstaltung, deren inhaltlicher Höhepunkt neben Laudatio und Preisverleihung auch die Podiumsdiskussion zur Lage der psychotherapeutischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen darstellte. Beteiligt waren Politiker*innen der bisherigen Regierungskoalition, die unisono verdeutlichten, dass bis zum Bruch der Ampelkoalition zwar einige (wenige) positive Regelungen für diesen Bereich in den letzten Monaten zwischen den Regierungsparteien ausgehandelt und in den aktuellen Gesetzesentwürfen verankert worden seien (wie z. B. eine eigene Bedarfsplanung für Kinder und Jugendliche). Aber es sei höchst unwahrscheinlich, dass diese noch im Bundestag verabschiedet werden. Und neue gesetzliche Initiativen im Gesundheitsbereich werde es sicher nicht im Jahr 2025 geben, egal welche Parteien nach der Wahl und den anschließenden Koalitionsverhandlungen die Regierung bilden werden.
Der insgesamt 45. Deutsche Psychotherapeutentag begann dann in fast schon gewohnter Routine am Folgetag mit den Vorbereitungssitzungen von Fraktionen und Landesgruppen. Erster Höhepunkt war der ausführliche Vorstandsbericht von Dr. Andrea Benecke, Präsidentin der Bundespsychotherapeutenkammer. Ihr anregender Vortrag bot eine Tour d’Horizon über die Vielfalt der Herausforderungen psychotherapeutischer Berufspolitik, die die BPtK allein im letzten halben Jahr, seit dem letzten DPT, gestemmt hat. Stellungnahmen zu zahlreichen Gesetzentwürfen der Bundesregierung, in denen Themen der psychischen Gesundheit berührt sind, Mitwirkung an Anhörungen im Bundestag und anderen öffentlichen Veranstaltungen, das Engagement im Gemeinsamen Bundesausschuss bzw. seinen Arbeitsgruppen, auch manche Aktivitäten zur europäischen Gesundheitspolitik. Insbesondere waren da natürlich auch die vielfältigen Bemühungen zur Sicherung einer qualifizierten (und finanzierten) psychotherapeutischen Weiterbildung. Sie mündeten letztlich auch in den zahlreichen Initiativen, einschließlich der öffentlichen Demonstrationen, um Verbesserungen im Entwurf des Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetzes (GVSG) zu verankern. Tragischerweise wird dieses Gesetz, welches im Entwurf immerhin ein paar wenige, aber wichtige Regelungen für die Psychotherapeutische Weiterbildung enthalten hatte, nach dem Zusammenbruch der Ampel-Regierung in der Vorwoche nun wohl überhaupt nicht mehr kommen.
Bemerkenswert am ersten Sitzungstag waren danach die beiden Fachvorträge von Prof. Dr. Josef Hecken und Prof. Dr. Tim Bschor.
Hecken, Jurist, CDU-Mitglied und seit über 12 Jahren unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses, erläuterte in einem launigen, inhaltsreichen und engagierten Vortrag insbesondere seine Überlegungen zur Zukunft der ambulanten Psychotherapie. Zwar sehe er die deutliche Ausweitung der Prävalenz psychischer Erkrankungen, aber die aus seiner Sicht ebenfalls deutliche Ausweitung der Zahl der zugelassenen niedergelassenen Psychotherapeut*innen habe offenbar bislang keine Verbesserung der auch aus seiner Sicht überlangen Wartezeiten zur Psychotherapie gebracht. Deshalb halte er Ansätze zur Priorisierung von Patient*innengruppen, die beim schnellen Zugang zur Psychotherapie bevorzugt werden sollten, für unumgänglich. Angesichts seiner engen Kontakte zur Gesundheitspolitik (die auch nach der Bundestagswahl sicher fortbestehen werden) wolle er sich in dieser Hinsicht weiter für die Verbesserung der Versorgung einsetzen und sehe hier auch Umsetzungschancen. In der – leider zu kurzen – Diskussion über seine Einschätzungen und Überlegungen zeigte er sich gewohnt schlagfertig, aber auch durchaus offen für Kritik und Hinweise, wie z. B. zu der vom G-BA zu verantwortenden Erprobung der Qualitätssicherung in der ambulanten Psychotherapie in NRW oder dahingehend, dass die Notwendigkeit eines schnelleren Behandlungsbeginns sich nicht einfach an bestimmten Diagnosen festmachen lasse, sondern der Einzelfallentscheidung von fachkundigen Behandelnden überlassen bleiben müsse.
Bschor, Professor für Psychiatrie und Psychotherapie, leitet seit vier Jahren die Regierungskommission zur Krankenhausreform, die inzwischen insgesamt 12 thematische Berichte vorgelegt hat, die auch die wesentliche Grundlage für das inzwischen vorliegende und (zum Zeitpunkt des DPT) fast verabschiedete, in der Fachöffentlichkeit kritisch diskutierte Krankenhausreformgesetz geliefert hat. Eingangs veranschaulichte er anhand vieler Statistiken den im europäischen und weltweiten Vergleich außerordentlich hohen Anteil der stationären Behandlungen in der deutschen Gesundheitsversorgung, der sich nicht mit besserer Behandlung, sondern insbesondere mit Traditionen und Finanzierungsstrukturen erklären lasse. Die stationäre psychiatrische Versorgung, die in Deutschland ebenfalls extrem stark ausgebaut sei (und da-mit erhebliche Ressourcen verbrauche), wurde separat untersucht, weil hier andere Finanzierungsstrukturen und Versorgungsbezüge gegeben sind. Die Vorschläge der Regierungskommission zu diesem Feld, den „Psych-Fächern“, sind in ihrem achten Bericht zusammengestellt. Bschor stellte sie anschließend vor: Sie laufen insbesondere auf mehr Flexibilisierung zwischen den Versorgungsstufen hinaus. Es werden u.a. die Übernahme der sog. § 64b-Modelle in die Regelversorgung, die verbesserte Finanzierung psychiatrischer Institutsambulanzen (Einzelleistungsvergütung nach dem ‚Bayerischen Modell‘) und die Ausweitung der Möglichkeiten für Globalbudgets vorgeschlagen. Gefordert wird auch eine verpflichtende Einbindung psycho-somatischer Abteilungen und Konsildienste in die Krankenhaus-Regelversorgung. Viele dieser Vorschläge werden zu ihrer Umsetzung eine Einbeziehung und Unterstützung durch beste-hende Strukturen wie den Kassenärztlichen Vereinigungen erfordern und auf jeden Fall eine stabile Bundesregierung, die aktuell noch nicht absehbar ist. Dennoch bleibt es sicher wichtig, dass die Psychotherapeut*innen sich mit möglichen Entwicklungen der Versorgungsstrukturen befassen und hier auch in die Diskussion einbringen.
Am zweiten Tag des Herbst DPTs berichteten Ausschüsse, Kommissionen und Länderrat von ihren Aktivitäten und es wurde hier und da diskutiert, z.B. zu den Bemühungen des Angestelltenausschusses (Sprecher*innen: Karl-Wilhelm Höffler und Christina Jochim), dass die Kammern sich stärker für die angemessene tarifliche Einordnung der neuen Psychotherapeut*innen einsetzen und entsprechend auf ver.di zugehen. Auf Anregung der Kommission Antidiskriminierung, Diversität und Chancengerechtigkeit (Sprecherin: Birsen Kahraman) wurde auch die Frage diskutiert, wie die Bundespsychotherapeutenkammer sich in geeigneter Form mit den zunehmend bedrohlicheren Entwicklungen in Richtung Antisemitismus und Rassismus oder auch Ausländerfeindlichkeit, die auch im psychotherapeutischen Alltag auf-tauchen, beschäftigen soll. Haushaltsverabschiedungen, Anpassungen der Musterweiterbildungsordnung und der Satzung waren weitere Routinethemen. Interessant war sodann der Bericht von Nikolaus Melcop, Vizepräsident der BPtK, über das seit Jahrzehnten andauernde Hickhack beteiligter Interessengruppen um die Anpassung der GOÄ/GOP. Die Bundespsychotherapeutenkammer hat in dieser Gemengelage bekanntlich vor wenigen Wochen eine Art Separatlösung für unsere Berufsgruppe erzielt und gemeinsam mit Beihilfe und Privatkassen eine Vereinbarung über neue Analogziffern finalisieren können.
Der DPT verabschiedete auch diesmal wieder eine Reihe von Resolutionen, nur mussten einige Entwurfs-Texte noch kurzfristig wegen der aktuellen, oben mehrfach erwähnten neuen politischen Situation angepasst werden. Insbesondere die Passagen zum Gesetz-Entwurf des GVSG standen seit Tagen bereits unter dem Motto: „Was hätte kommen können“. Nun steht fest: das Gesetz wird nicht kommen. Dennoch fand am 13.11., also zwei Tage vor dem DPT, eine öffentliche Anhörung zum Gesetzentwurf im Gesundheitsausschuss statt, bei der die Änderungsanträge zum Entwurf des GVSG, auf die sich Grüne und SPD final geeinigt hatten, diskutiert wurden. Die Themen und Ergebnisse, um die man teils lange gerungen hatte und bei denen sich auch die BPtK sehr engagiert eingebracht hatte, müssen also ins nächste Jahr mitgenommen werden. Einige der zentralen Forderungen, die von der aktuellen Gesundheitspolitik nun nicht mehr zeitnah realisiert werden, kommen in den Resolutionen des DPT zum Tragen.
Die Resolutionen sind auf der Homepage der Bundespsychotherapeutenkammer veröffentlicht:
www.bptk.de/pressemitteilungen/resolutionen-des-45-deutschen-psychotherapeutentages/
Heiner Vogel & Jürgen Friedrich (für die Fraktion der DGVT-Delegierten beim 45. DPT)