Der Pionier der Online-Psychotherapie[1]
Große Anerkennung für Thomas Berger von der Universität Bern: Der Psychologieprofessor wird für seine innovativen Beiträge zur Entwicklung von internetbasierten Psychotherapien mit dem Wissenschaftspreis Marcel Benoist ausgezeichnet. Dieser gilt unter Forschenden als Nobelpreis der Schweiz.
Von Barbara Spycher
Thomas Berger von der Universität Bern wird für seine innovativen Beiträge zur Entwicklung von internetbasierten Psychotherapien mit dem Schweizer Wissenschaftspreis Marcel Benoist ausgezeichnet.
Als der Berner Psychologieprofessor Thomas Berger vor zwei Wochen plötzlich Bundespräsident Guy Parmelin am Apparat hat, ist er erst einmal baff. „Ich gratuliere Ihnen zum Wissenschaftspreis Marcel Benoist!“, teilt ihm Parmelin telefonisch mit und lobt seine herausragende Forschung und seine Pionierarbeit für internetbasierte Psychotherapien. Thomas Berger notiert sich derweil auf einem Zettel nur zwei Worte: Herr Bundespräsident. „Damit ich in der Aufregung nicht vergesse, die Etikette einzuhalten“, erzählt Berger und muss über sich selber lachen.
Mittlerweile ist die Bedeutung der Auszeichnung, die unter Forschenden als Nobelpreis der Schweiz gilt, bei ihm angekommen, und damit auch ein Gefühl des Stolzes. Besonders freut den Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Bern, dass mit dem Marcel-Benoist-Preis Forschung ausgezeichnet wird, die für die Gesellschaft von Nutzen ist. „Es ist befriedigend und berührend, dass die eigene Arbeit von anderen als sinnvoll eingeschätzt wird“, sagt Berger.
Vielseitiger, internationaler Vorreiter
Einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag leistet der 50-jährige Thomas Berger mit der internetbasierten Psychotherapie seit vielen Jahren, doch Corona hat die Bedeutung seines Engagements verdeutlicht: Die Nachfrage nach psychologischen Online-Angeboten hat stark zugenommen, und diese waren – nicht zuletzt dank seiner Forschung – vorhanden und einsatzbereit. Denn seit über fünfzehn Jahren entwickelt Berger Therapien zur Prävention und Behandlung von psychischen Problemen mittels Apps und Webseiten und ist damit weltweit ein Vorreiter. Als einer der international führenden Experten für Psychotherapieforschung hat er solche Online-Behandlungen auch untersucht und ihre Wirkung empirisch belegt. Berger war an großen europäischen Forschungsprogrammen beteiligt und wurde für seine Forschung mehrfach ausgezeichnet, nun auch mit dem renommierten Marcel Benoist Preis.
Der emeritierte Psychologieprofessor Franz Caspar, bei dem Thomas Berger promoviert hatte, sieht einen Grund für Bergers herausragende Forschung in seiner Vielseitigkeit: „Er kennt sowohl die psychologischen Theorien als auch die psychotherapeutische Praxis, er ist ein hervorragender Forscher und kann sogar selber programmieren – das ist eine außergewöhnliche Kombination und erhöht die Qualität seiner Arbeit.“
Aus der Praxis heraus entwickelt
Die ersten Grundsteine für diese Vielseitigkeit hat Berger bereits im Wirtschaftsgymnasium gelegt, als er sich selber das Programmieren beibrachte. Gleichzeitig entschied er sich, Psychologie zu studieren. „Ich bekam den Eindruck, dass man schon vieles wusste über Mathematik oder Wirtschaftssysteme, dass es über den Menschen aber noch viel Unerforschtes gab.“
Nach dem Studium ließ Berger sich auch zum Psychotherapeuten ausbilden und arbeitete zwei Jahre therapeutisch in einer Psychiatrischen Klinik. In einer Studie zu einer kognitiven Verhaltenstherapie bei sozialen Angststörungen musste er als Studientherapeut Patientinnen und Patienten zuerst ein Verständnis für ihre Problematik vermitteln. „Doch oft konnten sie meine Informationen gar nicht aufnehmen, weil sie sich mit ihren sozialen Ängsten zunächst einmal auf die Beziehung fokussierten.“ Berger begann, ein interaktives Online-Selbsthilfeprogramm zu programmieren, welches die Patientinnen und Patienten über ihr Krankheitsbild informiert, sie anleitet, sich beängstigenden Situationen zu stellen und darüber schriftlich zu reflektieren – und das alles bei ihnen zuhause, wo sie diese Informationen besser aufnehmen können.
Im Rahmen einer Nationalfonds-Studie entwickelte er dieses Online-Selbsthilfeprogramm weiter und erforschte dessen Wirksamkeit. „Ich war erstaunt zu sehen, wie gut die Onlinetherapie funktioniert!“ Bergers Fazit: „Wenn eine Fachperson involviert ist, ist das Onlineprogramm ähnlich wirksam wie eine konventionelle Psychotherapie.“ Etwa dann, wenn eine Psychologin dem Patienten via Chat Feedbacks gibt: Das kann beispielsweise ein Lob sein, wenn der Klient sich einer beängstigenden Situation gestellt hat.
Videoportrait Thomas Berger
Mehr und andere Menschen erreichen
Die Feedbacks der Teilnehmenden solcher Selbstmanagementprogramme haben Thomas Berger motiviert, mit der Entwicklung und Forschung von Onlinetherapien weiterzumachen. Einige haben gesagt: „Man hat sich noch nie so sehr um mich gekümmert.“ Oder: „Diese Form ist für mich sehr angenehm, in eine herkömmliche Therapie wäre ich nicht gegangen.“ Einige Menschen, die langjährige Behandlungen hinter sich hatten, sagten: „Ich habe das erste Mal gemerkt, dass ich selbst an mir arbeiten muss.“
Allerdings betont Berger, dass solche digitalen Programme keine Konkurrenz zu konventionellen Psychotherapien seien, sondern eine Ergänzung. „Man kann damit mehr und andere Gruppen von Menschen erreichen.“ Das sei deshalb so wichtig, weil wirksame Psychotherapien zwar seit langem existieren, aber nur ein geringer Teil der Betroffenen diese sucht oder findet. Mit digitalen Angeboten könne man unter anderem Patientinnen und Patienten erreichen, für welche der Gang in eine Therapiepraxis eine unüberwindbare Hürde darstelle. Deshalb würde Thomas Berger es begrüßen, wenn Online-Therapien, deren Wirksamkeit bewiesen ist, in der Schweiz genauso von der Grundversicherung der Krankenkasse übernommen werden wie ab nächstem Jahr konventionelle Psychotherapien.
Mix von Online und Offline
Berger unterscheidet drei Formen von onlinebasierten Psychotherapien: Erstens webbasierte Selbsthilfeprogramme, mit oder ohne Onlinekontakt zu Therapeutinnen und Therapeuten wie oben beschrieben; zweitens individuelle Therapien, welche über Video, Chat oder E-Mail stattfinden und die seit Corona häufig zur Anwendung kommen; drittens Blended Therapien, bei welchen Offline-Sitzungen mit Online-Tools kombiniert werden.
Von solchen Blended Therapien verspricht sich Thomas Berger viel. „Wir konnten in einer Studie mit depressiven Patientinnen und Patienten zeigen, dass eine Psychotherapie wirksamer sein kann, wenn zwischen den Therapiesitzungen ein Online-Programm genutzt wird.“ Das könne unter anderem daran liegen, dass mit Übungen zuhause eine bessere Verankerung des Erarbeiteten im Alltag erreicht werde.
Bergers Team an der Universität Bern forscht aktuell weiter im Bereich Blended Therapien, in Kooperation mit den Universitären Psychiatrischen Diensten Bern (UPD) auch bei schwer psychiatrischen Patientinnen und Patienten. Mit neuen Studiendesigns soll im Weiteren besser herausgefunden werden, welche Komponenten von Online-Interventionen eigentlich wirken und wie genau. Außerdem entwickelt die Universität Bern zurzeit in Kooperation mit der Psychiatrischen Klinik in Münsingen (BE) eine App zur Suizidprävention und erarbeitet zusammen mit dem Schweizerischen Roten Kreuz psychosoziale Online-Hilfe für Geflüchtete, die mit konventionellen Angeboten besonders schwer zu erreichen sind.
Die Neugierde am Neuen
Seit 2018 ist Thomas Berger Leiter der Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Bern. Als solcher sieht er seine Hauptaufgabe darin, seinen Mitarbeitenden den Rahmen zu bieten, in dem sie zufrieden sind, gute Arbeit leisten und in ihrer eigenen Karriere weiterkommen. Manchmal vermisst er es, der erste zu sein, der die Ergebnisse einer Studie zu Gesicht bekommt und auswertet. „Mein Ziel war nie, einen bestimmten Preis zu bekommen oder Professor zu werden. Mein Antrieb war immer, Neues zu entdecken und zu erforschen“, sagt Berger.
Diese intrinsische Motivation attestiert ihm auch der emeritierte Professor Franz Caspar, der ihn zudem als angenehmen, bescheidenen Kollegen kennt, der Menschen mag und in der Sache bestimmt sein kann. Außerdem hat Thomas Berger eine sehr bodenständige Seite: Trotz der hohen Auszeichnung bleibt sein Fokus derzeit bei all den organisatorischen Fragen zum Studienbeginn. Und er sagt: „Ich freue mich sehr über die Anerkennung durch den Marcel-Benoist-Preis, doch mein größter Stolz sind meine drei Töchter Sophie, Nina und Lucie.“
ÜBER THOMAS BERGER
Thomas Berger (1971) wuchs in Konolfingen auf und studierte Psychologie an der Universität Bern. Er promovierte an der Universität Freiburg im Breisgau und war daneben als Psychotherapeut tätig, unter anderem im Sanatorium Kilchberg. Nach zwei Stationen als Oberassistent an den Universitäten Genf und Bern, wechselte er mit einem SNF-Stipendium für fortgeschrittene Forschende an die Universität Linköping in Schweden. Anschliessend kehrte er an die Universität Bern zurück und habilitierte im Rahmen eines Ambizione-Stipendiums des SNF. Ab 2013 forschte und lehrte er im Rahmen einer SNF-Förderungsprofessur an der Universität Bern und seit 2018 ist er am dortigen Institut für Psychologie ordentlicher Professor und Leiter der Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie. Thomas Berger war an zwei grossen europäischen Forschungsprogrammen beteiligt und wurde für seine Forschung bereits mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem SPR Outstanding Early Career Achievement Award.
ÜBER DIE AUTORIN
Barbara Spycher ist langjährige, freie Journalistin BR und lebt in Neuchâtel.
[1]Quelle: Das Online-Magazin der Universität Bern, 13.09.2021; Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin.