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VPP 4/2022

DGVT-Fachgespräch: Dienste für Psychotherapeut*innen – eine sinnvolle Entwicklung?

10. November 2022
 

Die „Fachgruppe Angestellte“ hatte für den 1. September 2022 zu einem Online-Fachgespräch eingeladen. Es sollte um „Dienste für Psychotherapeut*innen“ gehen, also um die Entwicklung, dass in Kliniken zunehmend häufiger die verschiedenen Formen der zeitlichen Dienstverpflichtungen, die bislang allein für Ärzt*innen vorgesehen waren, wie Nacht-, Wochenend-, Früh-, Spät- oder Aufnahmedienste, auch an Psychotherapeut*innen vergeben werden, beziehungsweise an die Kolleg*innen herangetragen werden. Es geht daher um die Frage, wie DGVT und DGVT-BV sich als Fachgesellschaft und Berufsverband zu dieser Entwicklung stellen wollen und sollen: Ist der Trend unter dem Blickwinkel einer damit ermöglichten verstärkten psychotherapeutischen Ausrichtung in psychiatrischen Kliniken zu befürworten? Oder ist er abzulehnen, weil es nicht zu erwarten ist, dass hier wirklich eine bessere Einbeziehung der PP/KJP in die Gesamtverantwortung kommt, oder aber, weil es den Kliniken im Grunde nur darum geht, teure Nachtdienstzuschläge für Ärzt*innen einzusparen?

Die Veranstaltung mit knapp 20 Teilnehmer*innen wurde moderiert von Karl-Wilhelm Höffler, der zunächst drei Leitfragen formulierte: Welche Erwartungen können wir mit der skizzierten Entwicklung verbinden? Welche Bedenken bestehen? Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit eine solche Entwicklung befürwortet werden kann?

Einführend erläuterte Heiner Vogel als Sprecher der Fachgruppe die Hintergründe und Rahmenbedingungen des aktuell wahrnehmbaren Trends in vielen psychiatrischen, psychosomatischen und Suchtkliniken Psychotherapeut*innen für Dienste heranzuziehen. Ganz wesentlich ist hier sicher der wachsende Ärzt*innenmangel im P-Bereich zu nennen und auch das Bedürfnis der ärztlichen Leitungen und der Geschäftsführungen, die Arbeitsbedingungen für die vorhandenen Ärzt*innen in diesen Kliniken zu verbessern, um ihren Verbleib zu sichern. Gleichzeitig gibt es in den Kliniken aber inzwischen auch den neuen akademischen Heilberuf der Psychotherapeut*innen (vorerst nur PP/KJP), der nach verantwortlicher Einbindung strebt. Und so liegt es nahe, diese Berufsgruppe, soweit das rechtlich zulässig ist, in die Übernahme von Diensten einzubeziehen. So zumindest ist es aus Gesprächen mit Klinikdirektor*innen erkennbar und auch plausibel. Der Vorstand der Bundespsychotherapeutenkammer will eine gemeinsame Haltung der Berufsgruppe zu dieser Entwicklung erarbeiten, weil dies auch für die psychotherapeutische Durchdringung von Psychiatrie und Psychosomatik und für die Zusammenarbeit mit den psychiatrischen und psychosomatischen Fachgesellschaften von Bedeutung sein wird. Vor diesem Hintergrund hat der Ausschuss Psychotherapie in Institutionen der Bundespsychotherapeutenkammer den Themenkomplex bereits seit circa zwei Jahren beraten und mit den entsprechenden Ausschüssen auf Landesebene einen Dialog begonnen. Noch im September (20. September 2022) wird es dazu auch einen kammeröffentlichen Online-Workshop geben, der helfen soll, das Meinungsbild zu vervollständigen.

Andrea Benecke, die auch Vizepräsidentin der Bundespsychotherapeutenkammer ist, berichtete die Bedenken, die inzwischen verschiedentlich geäußert worden sind und die auch wichtige Eckpunkte in der weiteren Diskussion markieren werden. So gehört die psychotherapeutische Behandlung von Patient*innen zum Selbstverständnis der Kolleg*innen in den Kliniken, nicht jedoch das gegebenenfalls alleinige Management von Krisen und Notfallsituationen – auch haben sie ausdrücklich keine Kompetenz beziehungsweise Legitimation, Psychopharmaka zu verordnen. Hier ist eine ärztliche Beteiligung ohnehin in jedem Fall zwingend. Auch haben viele Kolleg*innen ihre Stelle in den Kliniken mit der klaren Perspektive übernommen, nur Tagdienste zu übernehmen und ihr Privatleben entsprechend ausgerichtet. Aufgrund der notwendigen Freizeitausgleiche nach einem Dienst müsste die psychotherapeutische Versorgung der Patient*innen somit deutlich verändert oder gar eingeschränkt werden, wenn Psychotherapeut*innen Dienste übernehmen – was nicht sinnvoll sein kann.

Tatsächlich wurden, so zeigte die anschließende Diskussion mit den anwesenden Klinik-Kolleg*innen, in den Kliniken inzwischen sehr unterschiedliche Formen der Einbeziehung von PP/KJP in die Dienstverpflichtungen gefunden. In einigen Kliniken sind die Psychothera­peut*innen wegen rechtlicher Bedenken, zum Beispiel bezogen auf die Haftung, zwar weiterhin „außen vor“. Nicht selten sind sie aber auch regelhaft oder freiwillig in Früh-, Spät- oder Wochenendbereitschaftsdienste eingebunden, wenn eine ausdrückliche ärztliche Bereitschaftsdienstregelung im Hintergrund oder in einer Nachbarklinik oder -abteilung gegeben ist. Bei den in den Diensten auftretenden Fallkonstellationen geht es in der überwiegenden Zahl der Fälle um kurzfristig aufgetretene Unruhezustände oder Kriseninterventionen – Psychotherapeut*innen sind aufgrund ihrer Aus- beziehungsweise Weiterbildung hierfür meist viel besser vorbereitet als beispielsweise junge Assistenzärzt*innen, die kommunikativ nicht so geschult sind wie unsere Kolleg*innen. Dennoch gibt es eine Reihe von besonderen Herausforderungen, die sich bei Diensten ergeben, und es ist Aufgabe der Klinik, die Kolleg*innen in entsprechenden strukturierten Fortbildungen darauf vorzubereiten. Sofern dies alles gelingt, fördert die Beteiligung der Psychotherapeut*innen an den Diensten das Miteinander mit den ärztlichen Kolleg*innen und auch das gegenseitige Verständnis und die Wertschätzung, so die Kolleg*innen, die schon in Dienste eingebunden sind.

Was die Medikation angeht, zeigt sich ohnehin bei zahlreichen Standardkonstellationen, dass die Psychotherapeut*innen aufgrund ihrer zumeist langjährigen Erfahrung in der Klinik und entsprechender Fortbildung eine große Kompetenz haben und den Ärzt*innen im Bedarfsfall entsprechende Vorschläge zur Verordnung machen, die auch dankbar angenommen werden.

Klar ist, dass für die Übernahme von Diensten ausdrückliche Verfahrensregelungen bestehen müssen und auch, dass der Personal- oder Betriebsrat zustimmen muss. Auch ist die Bereit­schaft zur Übernahme von Diensten nur denkbar, wenn es faire Zeitausgleiche und Vergü­tungsregelungen gibt. Sicher gibt es viele Regelungen, zum Beispiel im Psych-KHG oder bezogen auf Akutaufnahmeregelungen, die eine Mitwirkung von PP/KJP erschweren – Veränderungen dieser Regelungen beim Gesetzgeber anzustoßen wird jedoch nur gelingen, sofern auch die Bereitschaft und Kompetenz der Berufsgruppe zur Mitwirkung in diesem Bereich erkennbar ist.

Abschließend zeigte sich unter den Teilnehmer*innen des Fachgesprächs, dass der Übernahme von Diensten durch die Psychotherapeut*innen keine grundsätzlichen Bedenken entgegen stehen, dass es aber doch eine Reihe von Punkten gibt, die arbeitsvertraglich und innerhalb der Klinikabläufe und -strukturen verantwortungsvoll und fair geregelt sein müssen, damit die Kolleg*innen hier auch entsprechende Verantwortung in den Diensten übernehmen können und somit auch stärker in die Gesamtverantwortung in der Klinik eingebunden werden.

Vogel/Benecke/Hoeffler