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Migration  • VPP 1/2009

Die Arbeit des Ethno-Medizinischen Zentrums - Interkulturelle Gesundheitsförderung in Deutschland

06. Februar 2009
 

Das Ethno-Medizinische Zentrum e.V. (EMZ) wurde im Jahr 1989 u. a. von seinem heutigen Geschäftsführer Ramazan Salman in Hannover gegründet. Ziel war es, die gesundheitliche Fehlversorgung von Migranten zu vermindern.

Seitdem bildet das Zentrum eine „Brücke zwischen den Kulturen“. Es vermittelt zwischen Menschen verschiedener Herkunft (und Sprachen), mit unterschiedlichen Umgangsweisen mit und Traditionen von Gesundheit und Krankheit und dem Körper.

Das Ethno-Medizinische Zentrum trägt mit kostengünstigen und qualitätsgerechten Konzepten dazu bei, gleichberechtigte Gesundheitschancen für Migranten zu schaffen, indem es mit kultur- und sprachspezifischen Diensten und Projekten dabei hilft, die Zugangsbarrieren für Migranten im Sozial- und Gesundheitssektor abzubauen. Es entwickelt einerseits Angebote, die es Institutionen und Fachkräften im Gesundheitsdienst ermöglichen, Migranten den Zugang zu vorhandenen Versorgungsangeboten zu erleichtern. Zugleich motiviert es andererseits Migranten, das Gesundheitswesen bzw. die vorhandenen Versorgungsangebote (optimal) zu nutzen und mehr Verantwortung für die eigene Gesundheit zu entwickeln.

Im Laufe seines 20-jährigen Bestehens hat sich das EMZ zu einem Kompetenzzentrum für Migration und Gesundheit entwickelt. Neben einem Dolmetscherservice für das Sozial- und Gesundheitswesen, der hauptsächlich in der Region Hannover in Anspruch genommen wird, und Projekten zur AIDS- und Suchtprävention bei Migranten, hat das Zentrum 2003 das mittlerweile mehrfach preisgekrönte interkulturelle Gesundheitsprojekt „MiMi“ initiiert.

MiMi – Mit Migranten Für Migranten - Interkulturelle Gesundheit in Deutschland

Ziel des MiMi-Projekts ist es, bei Menschen mit Migrationshintergrund die Eigenverantwortung für ihre Gesundheit und für Maßnahmen zur Prävention zu stärken und langfristig einen Beitrag zur Reduzierung von Ungleichheit bezüglich der Gesundheitschancen zu leisten, indem ihnen die gleichberechtigte Inanspruchnahme von Vorsorgeangeboten der Regelversorgung sowie der Zugang zu relevanten Gesundheitsinformationen ermöglicht bzw. erleichtert wird.

Das MiMi-Gesundheitsprojekt basiert auf dem interkulturellen Setting-Ansatz, d.h. MiMi bildet in einem ersten Schritt erfolgreich integrierte engagierte Migranten, die über sehr gute Deutschkenntnisse und ein hohes Bildungsniveau verfügen, zu interkulturellen Gesundheitslotsen, so genannten Mediatoren, aus. Nach dieser Ausbildung, in der sie zum deutschen Gesundheitssystem und zu wichtigen Themen der Gesundheit und Prävention geschult werden, führen die Mediatoren selbstständig Informationsveranstaltungen durch, indem sie ihre Zielgruppen, d.h. ihre Landsleute, in deren jeweiligen Lebensräumen aufsuchen und die Informationen zu Gesundheitsförderung und Prävention kultursensibel und in der jeweiligen Muttersprache vermitteln. Die Mediatoren bilden somit Brücken zwischen noch nicht so gut integrierten Migranten und dem deutschen Gesundheitssystem.

MiMi-Mediatoren werden so geschult, dass sie Veranstaltungen entweder im Alleingang oder im Tandem mit Angehörigen von Gesundheitsberufen durchführen können. Ihre Arbeit wird auf lokaler Ebene koordiniert. Die Ausbildung folgt festgelegten Qualitätsstandards. Durch die Kombination einer Basis-Schulung und sukzessiven Fortbildungen erwerben die MiMi-Mediatoren beständig zusätzliches Wissen und erweitern und vertiefen so ihre Expertise.

Die Unterrichtsmaterialien (Wegweiser und Leitfäden (Broschüren), Foliensätze, Powerpoint-Präsentationen, Evaluationsinstrumente, Aktualisierungen, Übersetzungen) werden vom Ethno-Medizinischen Zentrum zur Verfügung gestellt und mittlerweile von Partnern in ganz Europa adaptiert.

Das MiMi-Projekt bezieht systematisch lokale und regionale Netzwerke mit ein. Die Mediatoren werden als Repräsentanten der Bedürfnisse ihrer community gestärkt (Empowerment).

Die Bedeutung der Arbeit des EMZ hinsichtlich der psychosozialen Versorgung von Migranten

Ein wichtiger Ansatz in Bezug auf die Sicherstellung der gleichberechtigten Versorgung von Migranten bei psychischen Problemen ist der Einsatz von Gemeindedolmetschern. Dieser Service, den das EMZ seit 1991 anbietet, wird insbesondere und in hohem Maße von den Psychiatrischen Kliniken sowie den psychosozialen Einrichtungen der Region Hannover genutzt.

Die vom EMZ speziell für diese Aufgabe geschulten Dolmetscher werden von den auftraggebenden Institutionen hinzugezogen, um zum einen die rein sprachliche Verständigung zu gewährleisten, zum anderen aber auch, damit die behandelnden Therapeuten, Ärzte oder sonstigen Professionellen des Sozial- oder Gesundheitssektors auf das (trans-)kulturelle Hintergrundwissen der Dolmetscher zurückgreifen können, das in die mündliche Übersetzung mit einfließt. Denn die Kommunikation über Gesundheit bzw. Krankheit d.h. das Kommunizieren über den Körper und Gefühle bzw. psychische Probleme, muss im Falle der Behandlung oder Beratung von Migranten den jeweils unterschiedlichen Modellvorstellungen von Gesundheit, Krankheit und Therapie gerecht werden. Die Dolmetscher können Missverständnisse aufgrund kultureller Besonderheiten sowie mangelnder kultureller Kompetenz bei den Mitarbeitern der psychiatrischen/psychotherapeutischen Einrichtungen vermeiden helfen.

Neben dieser Verständigungsproblematik in der konkreten Behandlungs- oder Beratungssituation, besteht für viele Menschen mit Migrationsgeschichte eine Hürde jedoch bereits darin, sich überhaupt an die entsprechenden Hilfeeinrichtungen zu wenden. Nicht nur sprachliche und kulturelle Barrieren führen also zu einem abweichenden Inanspruchnahmeverhalten der vorhandenen Angebote im psychiatrischen Bereich sondern auch ein kulturell bedingt unterschiedliches Selbstverständnis der Geschlechterrollen, Misstrauen gegenüber Behörden und staatlichen Einrichtungen sowie abweichende Norm- und Wertvorstellungen. Ebenso wie die Patienten mit Migrationshintergrund oft erst dann in eine Behandlung kommen, wenn die Krankheit schon chronisch geworden ist, stellt es für viele auch ein schier unüberwindliches Hindernis dar, sich mit seinen doch so privaten psychischen Problemen einer fremden Person, noch dazu womöglich mit fremden Wertvorstellungen, anzuvertrauen.

Dies ist insofern von Bedeutung, als dass psychische Erkrankungen in der Bevölkerung insgesamt zunehmen und Migranten dabei von besonderen bzw. anderen Risikofaktoren betroffen sind als die deutsche Mehrheitsgesellschaft. Die Migrationserfahrung bleibt meist nicht ohne Auswirkung auf die seelische Gesundheit der zugewanderten Menschen. Diese können auch noch sehr viel später auftreten, wenn das eigentliche Migrationsereignis schon länger zurück liegt, wenn sich beispielsweise Hoffnungen und Erwartungen auch langfristig nicht erfüllt haben.

Migranten gehören in allen Lebensphasen (Kindheit und Jugend, Erwachsenenalter, Alter) zu Hochrisikogruppen für die Entstehung psychischer Krankheiten, weil sie einer Vielzahl von psychosozialen Stressoren ausgesetzt sind, was sich häufig auch in Stresskrankheiten sowie Alkohol- und Drogenproblemen niederschlägt. Auch die Schizophrenie-Inzidenz ist um das Drei- bis Vierfache erhöht, insbesondere bei Migranten dunklerer Hautfarbe.

Hier greift wieder der interkulturelle Ansatz des MiMi-Konzepts: Informationsveranstaltungen, in denen über die schädlichen Folgen des Konsums von Alkohol, Nikotin und Drogen sowie wie über das Thema Seelische Gesundheit Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen aufgeklärt wird.

Insbesondere bei einem solch sensiblen und wichtigen Thema wie diesem können die Mediatoren als Brücken zwischen dem Gesundheitswesen und der jeweiligen Migranten community als Schlüsselpersonen mit einer gewissen Vorbildfunktion in einer Weise zielgruppenorientiert agieren und Informationen vermitteln, die ihresgleichen sucht.

Die Auswertung der Befragungen von Migranten zeigt, dass durch Programme nach dem Konzept von MiMi eine erleichterte Aufnahme von Wissen bzw. Informationen (u.a. im Bereich Health Literacy) erreicht wird.

Literatur:

Hegemann, Thomas / Salman, Ramazan (Hg.) (2001) Transkulturelle Psychiatrie. Konzepte für die Arbeit mit Menschen aus anderen Kulturen.

Ahmet Kimil u. Ramazan Salman (2008) Sozialpsychiatrische Versorgungssituation von Migrantinnen und Migranten in der Region Hannover. Eine Studie der Fachgruppe Migration und Psychiatrie. Sozialpsychiatrische Schriften Band 2. Herausgegeben von Region Hannover, Team Gemeindepsychiatrie als Geschäftsführung des Sozialpsychiatrischen Verbundes

Wielant Machleidt, Ramazan Salman & Iris T. Calliess (Hg.) (2006) Forum Migration Gesundheit Integration, Bd. 4: Sonnenberger Leitlinien. Integration von Migranten in Psychiatrie und Psychotherapie. Erfahrungen und Konzepte in Deutschland und Europa.

 

 

Kontakt

Ethno-Medizinisches Zentrum e.V.
Königstraße 6
30175 Hannover
Tel. 0511/168-41020
Fax 0511/457215
Email: ethno@onlinehome.de

www.ethno-medizinisches-zentrum.de