Eckpunkte der Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e. V. zur Weiterentwicklung des Präventionsgesetzes (PrävG)
Verabschiedet von der BVPG-Mitgliederversammlung am 10.05.2022
Einleitung
Mit dem Präventionsgesetz (PrävG) aus dem Jahr 2015 sollten Prävention und Gesundheitsförderung finanziell, strukturell und qualitativ gestärkt sowie die Koordination und Kooperation der Akteure verbessert werden. Seit her hat sich viel getan, Prävention hat an Bedeutung gewonnen, wird umfassender interpretiert und viele Akteure haben damit begonnen, gute Ansätze und Projekte niedrigschwellig zu etablieren. Die Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V. (BVPG) teilt daher im Wesentlichen die Einschätzung der Bundesregierung zum Ersten Bericht der Nationalen Präventionskonferenz (NPK) über die grundsätzlich gute Entwicklung der Prävention und Gesundheitsförderung (Erster Präventionsbericht – Bundestagsdrucksache 19/26140 vom 14.01.2021); insbesondere dahingehend, dass das Präventionsgesetz bisher zielgerichtet umgesetzt wird und einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung der lebensweltlichen Prävention und Gesundheitsförderung leistet.
Die Bundesvereinigung sieht jedoch den im Folgenden aufgeführten Fortentwicklungsbedarf, um dessen Umsetzung noch stärker auf gesundheitsförderliche Lebenswelten (Verhältnisprävention via SettingAnsatz) auszurichten sowie die Zusammenarbeit von Präventionsakteuren und die Bündelung zahlreicher Präventionsmaßnahmen zu intensivieren:
1. Die Finanzierung von Prävention und Gesundheitsförderung dauerhaft und umfassend absichern und verlässliche Kooperationsvereinbarungen schaffen
2. Die Qualität von Prävention und Gesundheitsförderung weiter verbessern
3. Die Beteiligungsmöglichkeiten der Organisationen der Zivilgesellschaft intensivieren und ausweiten
1 Die Finanzierung von Prävention und Gesundheitsförderung dauerhaft und umfassend absichern und verlässliche Kooperationsvereinbarungen schaffen
Begründung
Das Präventionsgesetz (PrävG) enthält überwiegend gesundheitspolitische Regelungen für die Bundesebene. Gesundheitsförderung und Präventionsaktivitäten werden aber vor allem im kommunalen Bereich geplant und umgesetzt. Inzwischen gibt es hier gute, evaluierte Konzepte und Modellprojekte, aber die langfristige und flächendeckende Implementierung ist aufgrund fehlender dauerhafter Ressourcen / Finanzierung schwierig – eine planbare langfristige Arbeitsstruktur für die Prävention und Gesundheitsförderung vor Ort wäre jedoch dringend erforderlich.
Zudem werden Aktivitäten in Lebenswelten im Rahmen der §§ 20a und 20b SGB V nur zum Teil kassenüber greifend erbracht – ein großer Teil dieser Aktivitäten unterliegt weiterhin dem Wettbewerb. Zwar ist Wett bewerb per se nicht negativ, gerät aber dann an seine Grenzen, wenn daraus eine Fokussierung auf Settings und Bevölkerungsgruppen mit eher geringen Bedarfen resultiert und darüber hinaus durch eine Vielzahl von (zumeist kurzläufigen) Projekten und Programmen die Akteurinnen und Akteure in den Lebenswelten wegen des dadurch sich ergebenden permanenten Verwaltungs und Planungsaufwands »präventionsmüde« werden.
Auf Landesebene wurden im Zuge der Landesrahmenvereinbarungen (LRV) den gesetzlich geforderten, formalen Anforderungen gemäß zwar die sog. relevanten Verantwortlichen einbezogen, aber nur in sehr wenigen Bundesländern wurden breite Beteiligungsstrukturen geschaffen, die ein Zusammenarbeiten auf Augenhöhe erlauben. So ist es für eine kommunale Steuerung notwendig, dass die Kommunen umfassend an den Aktivitäten der LRVPartner in den Lebenswelten beteiligt werden – dies wird vor Ort offensichtlich bisher nicht erreicht.1 Deshalb sollte der Kreis der Partner der LRV erweitert werden. Dies entspricht auch den Empfehlungen des Bundesrats, in den Landesrahmenvereinbarungen die Zusammenarbeit mit dem Öffentlichen Gesundheitsdienst, den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe und den Trägern der Eingliederungshilfe festzulegen. Die gesetzlichen Vorgaben sollten hier verbindlich die Einbeziehung der relevanten Akteure fordern und zugleich auch deren finanzielle (Mit)Verantwortung verbindlich festlegen.
Daher gehört zu den Aspekten einer Fortentwicklung des PrävG, dass neben konzeptionellen Ansätzen zur Stärkung und dauerhaften strukturellen Verankerung der kommunalen Initiativen und Aktivitäten zukünftig auch angemessene Maßnahmen zu deren materieller Absicherung im Gesetz berücksichtigt werden. Diese Forderung macht damit zugleich deutlich, dass Prävention und Gesundheitsförderung eben in der Tat eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe darstellen.
Das Präventionsgesetz von 2015 verpflichtet jedoch nur Sozialversicherungsträger zur Etablierung von Bun des und Landesstrukturen (Nationale Präventionskonferenz, Bundesrahmenempfehlungen, Landesrahmen vereinbarungen) und ausschließlich die Gesetzliche Krankenversicherung und die Soziale Pflegeversicherung zur Erbringung vorgegebener finanzieller Leistungen.
Zur Umsetzung eines nachhaltigen gesamtgesellschaftlichen Ansatzes wäre damit ein anderes Präventions gesetz nötig, dass das Zusammenwirken aller relevanten Akteure – auch der Landes und kommunalen Ebene – sowie deren finanzielle (Mit)Verantwortung regelt. Dieses Gesetz müsste die Zustimmung im Bundesrat finden
– oder aber setzte eine weitergehende gesetzgeberische Kompetenz des Bundes voraus.
Ergänzend zu erwähnen ist die Prävention und Gesundheitsförderung im betrieblichen Setting – hier werden durch die existierenden Regelungen bereits gute Fördermöglichkeiten gegeben, die hoffentlich nachhaltig ins private Umfeld ausstrahlen und erhalten werden.
2 Die Qualität von Prävention und Gesundheitsförderung weiter verbessern
2.1 Präventionsleistungen passgenau ausbauen: innovativ, digital und barrierefrei Begründung
In der CoronaPandemie waren Familien in besonderem Maß belastet, weil deren Zuhause gleichzeitig zum Ort der Arbeitserbringung und des Lernens und der Freizeit wurde. Um zukünftig Familien orts und zeitunabhängig besser zu unterstützen, sollten Möglichkeiten innovativer digitaler und barrierefreier Formen der Leistungserbringung (z. B. des Unterrichtens und Lernens) gesetzlich adressiert und geschaffen werden. Voraussetzung ist, auch für digitale Leistungsangebote Zielsetzungen, Zuständigkeiten und qualitative Ansprüche rechtssicher zu formulieren, um datenschutzrechtliche Fallstricke zu vermeiden.
Barrierefreiheit sowie ein niedrigschwelliger Zugang zu Leistungen sollte grundsätzlich mitgedacht und umge setzt werden. Bestehende Setting und Sektoren, aber auch Budgetgrenzen sind in diesem Sinne zu überwin den. Prävention und Gesundheitsförderung brauchen ein ganzheitliches, an allen Lebens, Gesundheits und Krankheitsphasen ausgerichtetes Konzept, das neben der Primär auch die Sekundär und Tertiärprävention miteinschließt.
1 vgl. Drs. 19/26140, S. 157f
2.2 Leistungen der Prävention und Gesundheitsförderung, die an strukturellen Rahmenbedingungen ansetzen, sind zu stärken
Begründung
In ihrer Bewertung des Ersten Präventionsberichtes hebt die Bundesregierung zum einen hervor, dass die »Fortsetzung der Verknüpfung von verhältnis und verhaltensbezogenen Elementen«2 von großer Bedeutung ist, äußert an anderer Stelle jedoch auch anhaltende Skepsis, ob mit den individualpräventiven Leistungen »die Versicherten erreicht werden, die angesichts ihrer persönlichen Risiko und Belastungsfaktoren« diese Leistungen benötigen.3
Tatsächlich können nachhaltige Gesundheitseffekte nur erreicht werden, wenn Prävention an die Lebens situation von Zielgruppen angepasst wird. Gesundheit steht in unmittelbarem Zusammenhang mit gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Rahmenbedingungen – und diese sind nicht selten so beschaffen, dass Gesundheit völlig in den Hintergrund tritt. Das bedeutet, dass die Lebenssituation im Rahmen der Möglichkeiten verbessert werden muss. Das sollte das Ziel für eine Weiterentwicklung des Präventionsgesetzes sein.
Die langjährigen Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Praxis der Prävention und Gesundheitsförderung legen nach wie vor nahe, dass die SettingArbeit zum Abbau sozialer und geschlechtsbezogener Benachteiligung sehr großes Potential hat, das noch deutlich weiter ausgeschöpft und gestärkt werden sollte – einschließlich des Ausbaus niedrigschwelliger Beratungsangebote und Aktivitäten in sozial benachteiligten Gebieten. Das schließt nicht aus, dass diese Leistungen im Sinne eines PolicyMix durch niedrigschwellige, an die Lebenssituation der Zielgruppen angepasste individualpräventive Angebote ergänzt werden.
Für alle Leistungen – gleich ob verhältnis oder verhaltensbezogen – gilt, dass
• sie auf Dauer angelegt sein sollten,
• sie auf Basis wissenschaftlicher Evidenz gestaltet sein sollten,
• sie Personen in ihren Ressourcen stärken und einen Befähigungsansatz verfolgen, um ein eigenverantwortliches und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen (EmpowermentAnsatz),
• die Qualität fortlaufend gesichert,
• Maßnahmen weiterentwickelt und fortlaufend an die Bedarfe angepasst werden sollten und damit
• die nachhaltige Wirkung gewährleistet werden kann.
2 vgl. Drs 19/26140, S. 248
3 vgl. Drs. 19/26140, S. X
3 Die Beteiligungsmöglichkeiten der Organisationen der Zivilgesellschaft intensivieren und ausweiten
3.1 Die Nationale Präventionskonferenz (NPK) sollte erweitert werden um Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft
Begründung
Das Präventionsgesetz von 2015 verpflichtet ausschließlich die Sozialversicherungsträger zur Etablierung von Bundes und Landesstrukturen (Nationale Präventionskonferenz, Bundesrahmenempfehlungen, Landesrahmenvereinbarungen).
Da es jedoch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, die Gesundheit von Menschen in allen Lebenslagen zu fördern, ist für eine umfassende Prävention und Gesundheitsförderung im Sinne des Health in All Policies Ansatzes, wie er von der NPK bereits in zwei Fokusthemen »Psychische Gesundheit im familiären Kontext« und »Gesundheitsförderung und Prävention in der Pflege« erprobt wird, die Einbeziehung auch weiterer gesellschaftlich relevanter Akteure fundamental. Vor allem den zivilgesellschaftlichen Kräften kommt als Trägern von Lebenswelten und als engagierten, nicht profitorientierten Akteuren in Prävention und Gesundheitsförderung in Lebenswelten eine entscheidende Rolle zu. Diese Rolle spiegelt sich aber in den bisherigen Strukturen der NPK nicht wider, weshalb dringender Änderungsbedarf gegeben ist. Ein erster und zugleich unaufwändiger Schritt zur Behebung dieses Missstands wäre es, die BVPG, seit ihrer Gründung im Jahr 1954 alleiniger Dach verband zivilgesellschaftlicher Organisationen im Bereich »Prävention und Gesundheitsförderung«, in genau dieser Funktion – und nicht nur als Vertreterin des Präventionsforums – als beratendes Mitglied in die NPK aufzunehmen.
3.2 Die Beratungsfunktion des Präventionsforums aufwerten und verbindlicher gestalten
Begründung
Die NPK wird durch ein Präventionsforum beraten – es setzt sich aus Vertretenden der für die Prävention und Gesundheitsförderung maßgeblichen Organisationen und Verbände sowie den stimmberechtigten und beratenden Mitgliedern der NPK nach Absatz 1 zusammen.4 Die BVPG führt im Auftrag der NPKTräger das Präventionsforum durch und erhält von dort die entsprechenden Mittel.
In der Stellungnahme der Bundesregierung zum Ersten Präventionsbericht wird eine Aufwertung des Präven tionsforums durch Schaffung einer tragfähigen ganzjährigen Arbeitsstruktur, die die maßgeblichen Organisationen und Verbände in die das Präventionsforum vor und nachbereitende Arbeitsgruppen einbindet, angemahnt.5 Auch der Bundesrat empfiehlt eine Konkretisierung der Aufgaben des Präventionsforums sowie eine Stärkung der Bedeutung seiner Empfehlungen durch Etablierung eines formalen Konsultationsverfahrens durch die NPK und des Ausbaus zu einer ganzjährigen Arbeitsstruktur.
Grundsätzlich können die geforderte Aufwertung des Präventionsforums und die Konkretisierung seiner Rolle nur im Zusammenhang mit den Aufgaben der Nationalen Präventionskonferenz und deren Zusammensetzung geklärt werden.
Doch auch hier wäre ein erster und praktikabler Schritt, die bereits bestehende und das Präventionsforum vor und nachbereitende »AG Präventionsforum« aufzuwerten und um eine ständige Vertretung der Landesvereinigungen, der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege, der Patientenvertretung und der Kommunen zu erweitern; je nach Thema sollten auch sachkundige Gäste hinzugezogen werden können.
4 vgl. § 20e Abs. 2 SGB V
5 vgl. Drs. 19/26140, S. V