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Rosa Beilage 2/2017  • Migration

Föderale Strukturen behindern gesundheitliche Versorgung von Flüchtlingen

16. Mai 2017

Die Flüchtlingsversorgung ähnelt in Deutschland weiterhin einem Flickenteppich: In einigen Ländern können sich Flüchtlinge mit einer elektronischen Gesundheitskarte sofort in Behandlung begeben. Die meisten AsylbewerberInnen müssen allerdings weiterhin erst zum Amt, um einen Behandlungsschein zu erhalten.Nach den bisherigen Erfahrungen habe sich die Befürchtung, dass die Chipkarte zu Mehrkosten bei den Kommunen führen werde, nicht bestätigt, so die Forscher der Bertelsmann-Stiftung.

 

Mit den rückläufigen Flüchtlingszahlen sinkt auch der Druck, die medizinische Versorgung zu regeln, berichtet die Bertelsmann-Stiftung.

Eine Chance für eine bundesweite Regelung zur Flüchtlingsversorgung gebe es allenfalls mit einer neuen Regierungskonstellation nach der Bundestagswahl. Das meint Dr. Stefan Etgeton, der für die Bertelsmann-Stiftung die medizinische Versorgung von Flüchtlingen im Blick hat. "Durch den Rückgang der Flüchtlingszahlen ist der Druck raus für grundlegende Veränderungen", sagt Etgeton. "Das würde sich ändern, wenn sich der Zustrom wieder erhöhen würde."

Die Flüchtlingsversorgung ähnelt in Deutschland weiterhin einem Flickenteppich: In einigen Ländern können sich Flüchtlinge mit einer elektronischen Gesundheitskarte sofort in Behandlung begeben. Die meisten AsylbewerberInnen müssen allerdings weiterhin erst zum Amt, um einen Behandlungsschein zu erhalten.

Nach den bisherigen Erfahrungen habe sich die Befürchtung, dass die Chipkarte zu Mehrkosten bei den Kommunen führen werde, nicht bestätigt, so die Forscher der Bertelsmann-Stiftung. Stattdessen gebe es Effizienzgewinne und Einsparungen für die Verwaltung. "Es ist eine Frage der Menschenwürde, aber auch der Effizienz", sagt Etgeton.

Aktuell entscheide der zugewiesene Wohnort über den Zugang zum Gesundheitssystem. Somit bleibt die Versorgungssituation trotz der Bemühungen einzelner Länder ein „Flickenteppich“.

Zu diesem ernüchternden Ergebnis kommt die Bertelsmann Stiftung in einer am 19.4.17 veröffentlichten Analyse.

Die Umsetzung der Gesundheitskarte in den Ländern läuft demnach schleppend: Sieben Bundesländer stecken noch in Verhandlungen mit den Kassen oder haben höchstens den Entwurf einer Rahmenvereinbarung vorliegen.

Bis Ende Februar 2016 wurde die Gesundheitskarte für Asylsuchende neben den Vorreitern Bremen und Hamburg lediglich in Berlin, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein eingeführt, in Thüringen Anfang 2017. Bayern und Sachsen wollen die Gesundheitskarte nicht einführen. Und Mecklenburg-Vorpommern hat ebenfalls beschlossen, die Karte vorerst nicht einzuführen. Asylsuchende müssen damit weiter vor jedem Arztbesuch einen Antrag bei der zuständigen Behörde stellen.

Unterschiede auch innerhalb der Länder

"Es kann nicht sein, dass das föderale Gerangel um die Kosten auf dem Rücken der Flüchtlinge und der Kommunen ausgetragen wird", kritisiert Kirsten Witte, Kommunalexpertin der Bertelsmann Stiftung. "Die medizinische Versorgung von Asylsuchenden muss bundeseinheitlich geregelt und finanziert werden."

Hinzu kommen, so die ExpertInnen der Bertelsmann Stiftung, noch Unterschiede innerhalb der Länder: Die Regelungen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz etwa kranken laut Analyse daran, dass es den Kommunen freigestellt ist, ob sie teilnehmen. In Nordrhein-Westfalen z. B. sind nur 20 Kommunen beigetreten. In Brandenburg hat zwar die Regierung eine Vereinbarung mit den Krankenkassen geschlossen – die eigentliche Einführung hängt aber an den Kommunen. Im Saarland will die Regierung die Karte ermöglichen, "aber sämtliche Landkreise weigern sich, sie einzuführen", heißt es. Die Kommunen befürchten Mehrkosten. Deshalb ist es dringend erforderlich, die Kommunen vollständig von den Gesundheitskosten zu entlasten.

Eine repräsentative Umfrage der Bertelsmann Stiftung zeigt unterdessen, dass die Karte bei vielen auf Akzeptanz stößt: Zwei von drei Bundesbürgern befürworten, dass Flüchtlinge mit einer Karte direkt einen Arzt aufsuchen können.

Nur jeder Vierte (26 Prozent) sagte in der ersten Runde, dass sie diese Möglichkeit nicht bekommen sollten. Dr. Stefan Etgeton von der Bertelsmann Stiftung schränkt jedoch ein: 57 Prozent davon würden ihre Meinung ändern, "wenn sich nachweisen ließe, dass bei einer solchen Lösung unter dem Strich geringere Kosten für die Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen entstünden".

Umsetzungsstand: Gesundheitskarte für Asylsuchende & Flüchtlinge

Land

Einführung

 

Rahmen-
verhandlung

 

Kosten

 

Landes-weit

 

Ranking

Berlin

umgesetzt

3

Abschluss

3

Land

3

Ja

3

12/12

Hamburg

umgesetzt

3

Abschluss

3

Land

3

Ja

3

12/12

Schleswig-Holstein

umgesetzt

3

Abschluss

3

Land (teilw.)

3

ja

3

12/12

Brandenburg

01.04.2016

2

Entwurf

2

Land

3

Ja

3

10/12

Bremen

umgesetzt

3

Abschluss

3

Kommune

1

Ja

3

10/12

Nordrhein-Westfalen

umgesetzt

3

Abschluss

3

Kom/Land

2

Nein

1

9/12

Rheinland-Pfalz

2016

1

Abschluss

3

Kommune

1

Nein

1

6/12

Mecklenburg-Vorp.

I/2016

2

Verhandlung

1

-

0

-

0

3/12

Niedersachsen

?

1

Entwurf

2

-

0

-

0

3/12

Saarland

?

1

Entwurf

2

-

0

-

0

3/12

Sachsen-Anhalt

Anf. 2016

2

Verhandlung

1

-

0

-

0

3/12

Thüringen

Anf. 2017

2

Abschluss

1

-

0

-

0

3/12

Baden-Württemberg

?

1

Eckpunkte

2

-

0

-

0

3/12

Hessen

?

1

Verhandlung

1

-

0

-

0

2/12

Sachsen

-

 

-

 

-

 

-

 

-

Bayern

-

 

-

 

-

 

-

 

-

Quelle: Bertelsmann Stiftung