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Für eine kultursensible, muttersprachliche psychotherapeutische Versorgung von Menschen mit Zuwanderungshintergrund - Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie

17. Juni 2010
 

Seit vielen Jahren engagiert sich die DGVT für eine Verbesserung der psychosozialen Versorgung von Menschen mit Migrationshintergrund. Fachgruppen innerhalb der Mitgliederschaft und auch Symposien bei Kongressen haben dazu beigetragen, die Sensibilität für diese Problematik zu erhöhen und die verschiedenen Facetten der Thematik herauszuarbeiten.

Die in diesen Wochen beim Deutschen Bundestag vorliegende Petition zu diesem Thema gibt uns Anlass zu folgender Erklärung:

Die DGVT unterstützt das Anliegen der Petition vom 8.5.2010 in ihrer Kernforderung, Abhilfe für einen Zustand der Mangelversorgung an kultursensibler, muttersprachlicher Psychotherapie in Deutschland zu schaffen. Wir halten im Detail jedoch eine andere Schwerpunktsetzung für geboten, die wir im Folgenden näher darlegen.

MigrantInnen in Deutschland nehmen unterdurchschnittlich wenig psychotherapeutische Versorgung in Anspruch, obwohl eine erhöhte Prävalenz psychischer Erkrankungen in dieser Bevölkerungsgruppe angenommen werden muss.

Die DGVT steht mit ihrem Satzungsziel der Verwirklichung einer gemeindenahen psychosozialen und psychotherapeutischen Versorgung, die den Interessen und Rechten der Bevölkerung entspricht, für das Einbeziehen aller Bevölkerungsgruppen. Wir sprechen uns dafür aus, den Zugang von MigrantInnen zur psychotherapeutischen Versorgung im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung sowie zu Angeboten anderer Träger psychosozialer Versorgung rasch zu verbessern.

Psychotherapie als „sprechende Medizin“ ist auf die sprachliche Verständigungsmöglichkeit zwischen PatientIn und PsychotherapeutIn in besonderem Maße angewiesen, da es um Inhalte geht, die weitgehend aus der Gefühlssphäre stammen. Die sprachliche Integrationsleistung der Betroffenen darf nicht zur Voraussetzung für den Anspruch auf soziale Teilhabe (hier konkret den Anspruch auf Psychotherapie als GKV-Leistung) gemacht werden. Auch darf es nicht den örtlich zufälligen Gegebenheiten überlassen bleiben, ob zugelassene PsychotherapeutInnen Therapie in bestimmten Sprachen anbieten können oder nicht.

Veränderungen halten wir insbesondere in den folgenden Punkten für vorrangig:

  • Bedarfsplanungsrichtlinie:
    Die zuständigen Zulassungsausschüsse sowie die Sozialgerichtsbarkeit verneinen aktuell überwiegend einen Rechtsanspruch von Versicherten auf psychotherapeutische Behandlung bei PsychotherapeutInnen, mit denen sie „in ihrer nicht deutschen Muttersprache kommunizieren können“[1] .
    Wir lehnen die Auffassung des Bundessozialgerichts im Urteil vom 6.2.2008, dass es „nicht zum Leistungsumfang der Gesetzlichen Krankenversicherung i. S. einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung gehöre, die Verständigung zwischen Patient und Arzt oder Psychotherapeuten in der jeweiligen Muttersprache eines Patienten zu gewährleisten“, strikt ab[2] und unterstützen die Forderung, mehr muttersprachliche Psychotherapien im Rahmen des GKV-Leistungskatalogs anzubieten.

    • Unseres Erachtens sollten bei feststellbarem regionalen Bedarf Ermächtigungen für muttersprachliche Behandlungsangebote durch die Zulassungsausschüsseausgesprochen werden müssen. Die Regelungen für den lokalen Sonderbedarf wären im Rahmen von § 34 a Bedarfsplanungs-Richtlinie zu ergänzen („zusätzliches Angebot muttersprachlicher Psychotherapie“).

      § 34 a Abs. 6 Nr. 2 Bedarfsplanungs-Richtlinie sollte demnach wie folgt ergänzt werden:

      Bei der Prüfung des zusätzlichen lokalen Versorgungsbedarfes sind insbesondere folgende Kriterien zu berücksichtigen:
      1. (...)
      2. bei der Wohnbevölkerung ihre Zahl, ihre Altersstruktur, ihre Nachfrage nach ärztlichen Leistungen sowie der Ort der tatsächlichen Inanspruchnahme der ärztlichen Leistungen. Die Feststellung der tatsächlichen Inanspruchnahme kann auf der Grundlage einer geeigneten Stichprobe erfolgen. Bei der Interpretation dieses Kriteriums kann berücksichtigt werden, dass die empirisch ermittelte Inanspruchnahme auch durch das tatsächlich vorhandene Angebot mitbestimmt wird; (…).

      Wir fordern den Gesetzgeber hiermit dazu auf, den Gemeinsamen Bundesausschuss zu beauftragen, die Bedarfsplanungs-Richtlinie entsprechend zu ergänzen und schlagen folgende Änderung vor:

      In § 34 a Abs. 6 Nr. 2 Bedarfsplanungs-Richtlinie ist folgende Formulierung einzufügen:

      „... ihre Nachfrage nach muttersprachlichen vertragspsychotherapeutischen Behandlungsangeboten.“

      Für weniger weit verbreitete Sprachen sollte muttersprachliche Psychotherapie nach § 13 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch V im Wege der sog. Kostenerstattung durch die Gesetzlichen Krankenkassen finanziert werden.
  • Bei zukünftigen Änderungen der Bedarfsplanung ist ein zusätzlicher muttersprachlicher Versorgungsbedarf für MigrantInnen im o.g. Sinne (Mehrsprachigkeit der VertragspsychotherapeutInnen) zu berücksichtigen.
  • Kultursensibilität als Thema der Psychotherapieausbildung:
    Veränderungen am Niveau der Zugangsqualifikation zum Beruf des Psychologischen Psychotherapeuten bzw. Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten mit dem Ziel, im Ausland erworbene berufliche Qualifikationen leichter anerkennen zu lassen, lehnen wir ab.

    • Wir fordern hingegen, bereits in der Ausbildung nach dem Psychotherapeutengesetz interkulturelle Kompetenz als weiteren Ausbildungsbaustein aufzunehmen. Der Gegenstandskatalog zu den Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen für Psychologische PsychotherapeutInnen und Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen ist dementsprechend anzupassen.

  • Psychotherapeutische Behandlungserlaubnis für Nicht-EWR-/EU-Bürger erleichtern:
    Voraussetzung für ein besseres psychotherapeutisches Versorgungsangebot für MigrantInnen in den verschiedenen Sprachen ist, dass qualifizierte PsychotherapeutInnen mit entsprechenden Sprachkenntnissen und kultursensiblem Verständnis überhaupt zur Verfügung stehen. Gem. Psychotherapeutengesetz ist die Erteilung der Approbation an die deutsche Staatsangehörigkeit geknüpft. Eine Ausnahme gilt für Bürger, die aus einem EU- bzw. EWR-Mitgliedsstaat kommen, und die die Ausbildung nach PsychThG absolviert haben bzw. eine gleichwertige Ausbildung in einem EU-/EWR-Staat nachweisen können.
    Anders stellt sich die Rechtslage bei Bürgern dar, die aus einem Land kommen, das nicht der EU bzw. dem EWR zugehört. Ihnen kann nur aufgrund einer Ermessensentscheidung der Approbationsbehörde und nur ausnahmsweise („in besonderen Einzelfällen oder aus Gründen des öffentlichen Gesundheitsinteresses“, § 2 Abs. 3 Satz 1 PsychThG) eine Approbation erteilt werden.

    • Wir halten die bisherige Regelung in § 2 Abs. 1 Nr. 1 PsychThG, die Erteilung der Approbation (auch bei vollständig nach PsychThG erfolgter Ausbildung) an die deutsche Staatsangehörigkeit zu knüpfen, für nicht erforderlich.
      In Anbetracht des Bedarfs an kultursensiblen, muttersprachlichen PsychotherapeutInnen wäre es folgerichtig, diese gesetzliche Hürde abzubauen und § 2 Abs. 1 Nr. 1 PsychThG zu streichen.

    • Bis zu einer möglichen Gesetzesänderung fordern wir die Landesgesundheitsministerien dazu auf, mittels statistischer Erhebungen und entsprechender Versorgungsforschung Listen über den Versorgungsbedarf der MigrantInnen in den Bundesländern in den verschiedenen Sprachen zu erarbeiten. Darauf basierend sind Verwaltungsvorschriften zu erlassen, anhand derer die Behörden entsprechende Approbations-Anträge von Nicht-EU- bzw. Nicht-EWR-Bürgern zu entscheiden haben, mit dem Ziel, die Versorgung von MigrantInnen im „öffentlichen Gesundheitsinteresse“ zu verbessern.

    • Hilfsweise könnten die Landesgesundheitsministerien die Approbationsbehörden anweisen, von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, eine befristete Erlaubnis zur Berufsausübung zu erteilen (vgl. § 4 PsychThG), in o.g. Fällen und bei ermitteltem Versorgungsbedarf. Eine befristete Erlaubnis kann auf bestimmte Tätigkeiten und Beschäftigungsstellen beschränkt erteilt werden (vgl. § 4 Abs. 2 PsychThG) und könnte gezielt auf die Behandlung von MigrantInnen begrenzt werden.
  • Dolmetscherangebote, falls muttersprachliche Psychotherapie nicht möglich ist:
    Versicherten mit Migrationshintergrund ist eine geeignete Sprachvermittlung durch geschulte professionelle DolmetscherInnen zu finanzieren, für den Fall, dass Versorgungsmängel mit muttersprachlicher Psychotherapie regional weiterexistieren. Insbesondere ist auch der stationäre Bereich bei der Einrichtung von Dolmetscherangeboten einzubeziehen.
    Dadurch kann eine allgemeine interkulturelle Öffnung im ambulanten und institutionellen Bereich gefördert werden. Solange die Kosten für eine professionelle Sprach- und Kulturvermittlung nicht durch die Sozialdienste oder Krankenkassen übernommen werden, sind viele Menschen mit Zuwanderungshintergrund aufgrund nicht ausreichender Mitteilungsmöglichkeiten aus der Regelversorgung ausgeschlossen.
  • Sprachkenntnisse als Auswahlkriterien öffentlicher Suchdienste für PsychotherapeutInnen:
    Wir sprechen uns dafür aus, einen nach Sprachkenntnissen geordneten öffentlichen Psychotherapeutensuchdienst einzurichten, um mehr Transparenz und interkulturelle Öffnung zu schaffen. Dabei könnten die bereits existierenden Psychotherapeutensuchdienste der Landespsychotherapeutenkammern sowie der Kassenärztlichen Vereinigungen genutzt werden, um besondere Sprachkenntnisse der niedergelassenen PsychotherapeutInnen veröffentlichen. Psychotherapeuten mit KV-Zulassung, die mehrere Sprachen sprechen, ist es auch unter den derzeitigen Voraussetzungen nicht untersagt, die Therapie nicht auch in dieser Sprache, die nicht Deutsch ist, durchzuführen.

    Entsprechende Hinweise auf diese besondere Qualifikation könnten auch auf dem Praxisschild veröffentlicht werden. HausärztInnen, GynäkologInnen und KinderärztInnen sollten die PatientInnen auf diese Suchmöglichkeiten hinweisen bzw. entsprechende Listen erhalten.
    PatientInnen-Informationen zu psychischen Erkrankungen sind bei den kommunalen Behörden,  mehrsprachig auszulegen.
  • Besondere Problematik für Flüchtlinge ohne Bleiberecht:
    Die besondere Situation von Flüchtlingen ohne gesichertes Aufenthaltsrecht wird häufig nicht angesprochen. Asyl Suchende haben einen nur eingeschränkten Anspruch auf Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. Asylbewerberleistungsgesetz). Die Versorgungslücke für diesen Personenkreis wird zu großen Teilen durch Angebote der Psychosozialen Zentren (PSZ) geschlossen. Wir fordern die Absicherung der Finanzierung von Stellen für mehrsprachige PsychotherapeutInnen durch öffentliche Zuschüsse in diesen Einrichtungen. Zusätzlich sollten Ermächtigungen für die Abrechnung psychotherapeutischer Angebote im Rahmen der PSZ im Wege des o.g. Anspruchs auf lokalen Sonderbedarf möglich sein.

  • Forschungsbedarf:
    Wir sehen einen erheblichen Forschungsbedarf, um Daten zur seelischen Gesundheit von Menschen mit Migrationshintergrund, über die bestehenden Hindernisse zur Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen zu erhalten. Auch sind Studien über Ansatzpunkte zur Verbesserung der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen erforderlich sowie über die Möglichkeiten, Angebote für MigrantInnen innerhalb des bestehenden Systems an Leistungsanbietern zur Verfügung zu stellen (insbesondere im Bereich Psychotherapie, psychosoziale Versorgung).

Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie e.V.

Tübingen, 16. Juni 2010



[1]Vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 6.2.2008, Az. B 6 KA 40/06 R.

[2]Vgl. Burgdorf, K.: Bundessozialgericht: Kein Anspruch auf Ermächtigung eines Psychotherapeuten zur Behandlung griechisch sprechender Versicherter, Rosa Beilage 3/2008, S. 33 f.