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Publikationen  • VPP 3/2020

Hilfe für gequälte kleine Seelen[1]

21. Juli 2020
 

Auf die Matte eindreschen, laut schreien, bitterlich weinen: Im Primal Raum des Rehazentrums PREDA Home können missbrauchte Mädchen ihren Ängsten und Aggressionen freien Lauf lassen. Eine Sozialarbeiterin ist mit im Raum und begleitet die Opfer sexueller Gewalt bei diesem Teil der Therapie.

Die grausamen Verbrechen gegen Kinder haben eine neue Dimension erreicht: Auf den Philippinen werden Mädchen und Jungen für Cybersex missbraucht. Wie den schwer traumatisierten Opfern nach ihrer Rettung therapeutisch geholfen wird, haben Martina Merten (Text) und Benjamin Füglister (Fotos) vor Ort beobachtet.

Sexueller Missbrauch von Kindern ist ein seit vielen Jahrzehnten weltweit zu findendes Gewaltverbrechen. Auf den Philippinen hat sich jüngst eine neue Form des Kindesmissbrauchs etabliert: die virtuelle sexuelle Ausbeutung von Kindern (Online Sexuell Exploitation of Children, kurz OSEC). Nach Angaben des UN­Kinderhilfswerk UNICEF sind die Philippinen die größte Quelle für OSEC. Aus dem UNICEF­Report zur Gewalt gegen Kinder geht hervor, dass eines von fünf Kindern schon einmal sexuelle Gewalt erleben musste. Weltweit ist jedes dritte Opfer von sexuellem Missbrauch ein Kind, besagt der jüngste Globale Bericht über Menschenhandel des Büros der Vereinten Nationen für Drogen und Verbrechensbekämpfung. Die Folgen für die mentale Gesundheit der Opfer – 80 Prozent sind Mädchen – sind verheerend, berichtet Rose Basence, Therapeutin im PREDA Home, einer Rehabilitationseinrichtung für Missbrauchsopfer in der Provinz Zambales auf der philippinischen Insel Luzon. „Viele der Kinder leiden unter Depressionen und aggressiven Episoden. Einige verletzen sich selbst.“ Häufig herrsche eine aufgeladene Atmosphäre in der Einrichtung, ohne dass die Mädchen genau benennen könnten, was geschehen ist.

Den seelischen Schmerz herausschreien. Wie aufgeladen diese Stimmung sein kann, zeigt ein Blick in den Primal Raum, den die etwas älteren Mädchen im PREDA Home jeden zweiten Tag besuchen können: Elf von ihnen knien auf einfachen Gummimatten. Auch die Wände des kleinen Raums sind mit diesen Matten verkleidet. Musik läuft im Hintergrund. Anfangs, gut hörbar, ein philippinischer Liebessong. Nach einer Weile übertönen Schreie die einprägsame Melodie. Es sind laute, spitze Schreie, die einige der elf Mädchen ausstoßen. Andere boxen gegen die ihnen gegenüberliegende Matte. Immer wieder schlagen sie dagegen – fest. Ihre Wut muss unbändig sein. Etwa 30 Minuten entleeren sie sich ihrer Gefühle. Danach wird es hörbar leiser. Was im Primal Raum geschieht, ist Teil der so genannten emotional release therapy – einem traumabasierten Ansatz in der Psychotherapie. Hierbei geht es darum, unterdrückten Gefühlen durch Schreie und Schläge ihren Lauf zu lassen, erklärt PREDA­Gründer Shay Cullen.

Mütter oft selbst Missbrauchsopfer. Minderjährige Opfer von sexuellem Missbrauch – insbesondere vor einer Webcam – leiden unter zwei Traumata: Unter dem Trauma des Geschehenen und dem Trauma der Rettung. Das Trauma der Rettung, erklärt Sozialarbeiterin Amazing Grace Salitrero, die für die auf OSECOpfer spezialisierte C.U.R.E. Foundation auf der philippinischen Insel Visayas arbeitet, offenbare sich am Schock der Kinder über die Trennung von der eigenen Mutter – dem Menschen, bei dem sie sich einst sicher fühlten. „In 80 Prozent der Fälle befinden sich die Mittäter für ein solches Verbrechen in der Familie der Mädchen“, fügt Holländer Bart von Oost hinzu, der gemeinsam mit seiner Frau Jolien die in den Bergen Cebus gelegene C.U.R.E. Foundation leitet. „Denn meist ist die Mittäterin die Mutter der Kinder“, berichtet van Oost. Viele der Mütter seien selbst in jüngeren Jahren Missbrauchsopfer geworden. Das Gefühl für Normalität sei ihnen früh abhandengekommen. Zudem seien Mütter in der philippinischen Gesellschaft diejenigen, die das Geld für die Familie eintrieben. „Für viele geht es um das nackte Überleben“, so van Oost.


[1]Quelle: GESUNDHEIT UND GESELLSCHAFT G+G“, Heft 3/2020; Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autor*innen.