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Migration  • Rosa Beilage 4/2016

Studie der Bertelsmann-Stiftung: Flüchtlinge haben nur geringe Chance auf Psychotherapie

30. November 2016
 

Ein Drittel bis die Hälfte der in Deutschland angekommenen Flüchtlinge gilt als traumatisiert. Doch vor einer adäquaten psychotherapeutischen Versorgung stehen kaum überwindbare Barrieren, wie eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung feststellt. Durch politische Verfolgung, Krieg und Umstände auf der Flucht traumatisierte Asylbewerber haben fast keine Chance, eine adäquate psychotherapeutische Behandlung zu erhalten. Als Ursachen hat die Studie folgende Aspekte herausgearbeitet: ein Leistungsrecht, das nur Akutbehandlungen vorsieht, insgesamt viel zu kleine Behandlungskapazitäten, unüberwindbare Sprachbarrieren und prekäre Finanzierungsstrukturen.

Die Prävalenz von Posttraumatischen Belastungsstörungen bei Kriegs- und Folteropfern ist zwar strittig, sie wird aber von Experten häufig zwischen über 30 und bis zu 50 % gesehen. Der GKV-Spitzenverband stellt diese hohen Prävalenzen in Frage und sieht die Übertragung westlicher Studien auf andere Kulturkreise kritisch. Faktisch, so eines der zentralen Ergebnisse der Bertelsmann-Studie, bleibe aber der Zugang zu psychotherapeutischen Behandlungen den meisten Asylbewerbern in den ersten 15 Monaten verwehrt. Dies resultiert aus dem Asylbewerberleistungsgesetz, wonach nur Anspruch auf Akutbehandlung, nicht jedoch auf Langzeittherapie besteht.

Aber auch die Bewilligung von Kurzzeit-Interventionen sei in das Ermessen von Behörden gestellt. Daran ändere auch die von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich gehandhabte Einführung der Elektronischen Gesundheitskarte nichts. Nach Angaben der Bundespsychotherapeutenkammer wurden 2014 – noch vor dem großen Flüchtlingszustrom – nur vier Prozent der psychisch kranken Flüchtlinge psychotherapeutisch versorgt.

Die bundesweit 32 Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer leisten derzeit die weitaus meisten Therapien für Flüchtlinge. 2015 wurden 13.500 Menschen von diesen Einrichtungen versorgt (bei Wartezeiten von durchschnittlich sieben Monaten und teils langen Anfahrtswegen für die Betroffenen. Bei einem Zustrom von Flüchtlingen von etwa einer Million Menschen in 2015 und mehr als 220.000 im ersten Halbjahr 2016 ist davon auszugehen, dass bei einer Traumatisierungsprävalenz von mehr als 30 % nur ein geringer Teil der betroffenen Menschen psychotherapeutisch versorgt werden kann.

Die Psychosozialen Zentren erhalten für ihre Leistungen keine strukturelle Finanzierung. Die Refinanzierung von Psychotherapien durch Sozialbehörden, Krankenkassen und Jugendämter liegt bei nur 3 %. Landesmittel machen etwa 14 % aus, Kommunen steuern 11 % hinzu. Ein Teil der Leistungen wird durch Spenden finanziert, 25 % der Leistungen werden ehrenamtlich erbracht. 3 Mio. Euro kommen aus dem Etat des Bundesfamilienministeriums.

Die Autoren der Studie formulieren folgende drei Forderungen:

  1. Obwohl die Psychosozialen Zentren in den letzten 30 Jahren zu einer tragenden Säule der Versorgung von Flüchtlingen geworden sind, sei die Finanzierung nur temporär gesichert. Es müsse hier eine nachhaltigere Finanzierung gesucht werden, die nicht nur auf Projektmitteln und Spenden basiert.

  2. Aus Sicht der Studie der Bertelsmann-Stiftung sei zudem eine Öffnung des Regelsystems der psychotherapeutischen Versorgung aufgrund der ohnehin langen Wartezeiten keine geeignete Option für eine Verbesserung. Ein richtiger Weg sei aber mit der Ermächtigung von PsychotherapeutInnen ohne Kassen-Zulassung eingeschlagen worden. Dabei wäre jedoch eine Erweiterung des anspruchsberechtigten Personenkreises auf Flüchtlinge, die noch keine 15 Monate in Deutschland sind oder die aus anderen Gründen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz kein Recht auf Psychotherapie haben, notwendig.

  3. Da fremdsprachige PsychotherapeutInnen mit KV-Zulassung rar sind, müsse parallel zum Antrag auf Psychotherapie auch die Übernahme von Dolmetscherkosten geklärt werden. Das ist bis heute ausgeschlossen.

Quellen:
Ärztezeitung online, Artikel vom 31.10.2016, www.aerztezeitung.de

www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen


Kerstin Burgdorf