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Suizidassistenz

2020 hat das Bundesverfassungsgericht das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für verfassungswidrig erklärt und festgehalten, dass jeder Mensch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben und einen assistierten Suizid hat. Dieses führte zu kontroversen Diskussionen sowohl in Fachkreisen wie auch in der Öffentlichkeit. Das Urteil hat Auswirkungen auf alle Gesundheitsberufe, auch auf Psychotherapeut*innen und psychosoziale Berater*innen. 

Am 06.07.2023 hat der Bundestag über zwei Gesetzentwürfe zur Regelung des Zugangs zum assistierten Suizid debattiert. Weder der liberale noch der konservativere Gesetzentwurf zur Suizidassistenz fand eine Mehrheit. Eine überwältigende Mehrheit fand jedoch der Antrag für ein Suizidpräventionsgesetz, für das bis Juni 2024 ein Gesetzentwurf vorliegen muss. Dies war und ist auch eine zentrale Forderung der DGVT und des DGVT-BV.

Auf dieser Seite finden Sie einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Aspekte des assistierten Suizids. Wir möchten aufklären, informieren und zur Diskussion anregen.

Aktuelles zu Suizidassistenz und Suizidprävention

Suizidprävention

DGVT und DGVT-BV wurden Mitglied in der Allianz für Suizidprävention

Nachdem im Juli 2023 eine gesetzliche Regelung zur Suizidassistenz im Bundestag gescheitert ist, fand ein Antrag auf ein Gesetz zur Suizidprävention eine überwältigende …

Suizidprävention

Parlamentskreis Suizidprävention gegründet

Die Berichterstatter*innen für psychische Gesundheit der Bundestags-Fraktionen haben am 12.10.2023 einen interfraktionellen Parlamentskreis Suizidprävention gegründet, mit dem …

Suizidassistenz

Fraktionsübergreifende Gruppe im Bundestag nimmt Thema Suizidassistenz wieder auf

Nach dem Scheitern einer gesetzlichen Regelung zur Sterbehilfe in Deutschland nimmt eine fraktionsübergreifende Gruppe im Bundestag das Thema Suizidassistenz wieder auf. Eine …

Hintergrundinformationen zu Suizidassistenz

Am 26. Februar 2020 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass jeder Mensch das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben hat. Dieses Recht umfasst auch die Freiheit sich selbst zu töten und dabei die Unterstützung Dritter in Anspruch zu nehmen (assistierter Suizid), also z. B. sich ein Medikament zur Selbsttötung verschreiben zu lassen. Der 2015 eingeführte Straftatbestand der geschäftsmäßigen Förderung von Selbsttötung (§ 217 Strafgesetzbuch) wurde dabei für verfassungswidrig erklärt. („Geschäftsmäßige Sterbehilfe“ hatte in diesem Zusammenhang nichts mit Geld zu tun, sondern bedeutete lediglich „auf Wiederholung“ angelegt. Die Richter*innen haben also nicht gesagt, dass kommerzielle Sterbehilfe möglich sein müsse). Ausgangspunkt war die Verfassungsbeschwerde von schwerstkranken Menschen, Sterbehilfehilfevereinen und Mediziner*innen. 

Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben ist dabei laut Urteilsbegründung des Bundesverfassungsgerichts nicht auf bestimmte Krankheitssituationen beschränkt wie z.B. das Vorliegen einer unheilbaren Erkrankung, sondern steht jeder/m Bürger*in unabhängig von den Gründen für ihren/seinen Todeswunsch zu. Die Assistenz zu einem Suizid ist dabei für die Helfer*innen straffrei, wenn es sich nachweislich um einen freiverantwortlichen Suizid handelt. Den Wortlaut des Urteils finden Sie hier

Laut der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e.V. wird im Urteil des Bundesverfassungsgerichts an keinem Punkt zur Situation von Kindern und Jugendlichen Stellung genommen (Stellungnahme dazu). Die beiden unter Frage 4) skizzierten Gesetzesentwürfe setzen eine Volljährigkeit des Suizidwilligen voraus. Die folgenden Ausführungen beziehen sich daher auf Volljährige.

Am Lebensende sind verschiedene ärztliche Handlungen zu unterscheiden, einige sind in Deutschland rechtlich zulässig, andere strafbar: 

Unter Behandlungsbegrenzung (früher „passive Sterbehilfe“) versteht man das Unterlassen, Begrenzen oder Beenden von lebenserhaltenden Maßnahmen, wie z.B. den Verzicht auf künstliche Ernährung oder Beatmung. Sie ist zulässig ebenso wie die Symptomlinderung (palliative Versorgung Sterbender, früher „indirekte Sterbehilfe“), auch wenn die Symptomlinderung eine Lebensverkürzung als Nebenwirkung bedingt. Das Töten auf Verlangen (früher „aktive Sterbehilfe“) durch z.B. eine bewusste Überdosis ist in Deutschland verboten. 

Der assistierte Suizid ist in Deutschland unter strengen Rahmenbedingungen nicht strafbar. Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil vom 26.02.2020 ausdrücklich bestätigt und das strafrechtliche Verbot geschäftsmäßiger Suizidassistenz für verfassungswidrig erklärt. Voraussetzung für die Straffreiheit ist jedoch, dass es sich bei dem assistierten Suizid um einen freiverantwortlichen Suizid handelt. D.h. der assistierte Suizid ist strafbar, wenn dem/der Suizidenden/in die Einsichts- undUrteilsfähigkeit fehlt. Der assistierte Suizid ist nur legal, wenn der Entschluss der suizidwilligen Person autonom, selbstbestimmt, überdauernd und ohne Druck Dritter entstanden ist und dieses entsprechend eindeutig nachgewiesen werden kann. Dieses wird im nächsten Abschnitt genauer erläutert. Konkrete Hinweise für Psychotherapeut*innen und Berater*innen zur aktuellen Rechtslage und Implikationen für die Praxis finden Sie nach Login im internen Mitgliederbereich unter "Themen von A bis Z" unter dem Stichpunkt "Suizidassistenz".

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Laut Bundesverfassungsgericht ist das Recht auf einen assistierten Suizid an die Freiverantwortlichkeit gebunden. Diese beinhaltet (zusammengefasst nach Glasenapp & Teismann, 2022): 

a) Die Fähigkeit des Sterbewilligen, seinen Willen frei und unbeeinflusst von einer akuten psychischen Störung zu bilden und nach dieser Einsicht handeln zu können, 

b) die Kenntnis von allen entscheidungserheblichen Gesichtspunkten, insbesondere der Handlungsalternativen zum Suizid und der Folgen der möglichen Handlungen, 

c) die Abwesenheit von Zwang, Drohung oder Täuschung oder einer anderen Form der Einflussnahme, und 

d) die Ernsthaftigkeit des Suizidwunsches, die sich in einer „gewissen Dauerhaftigkeit“ und „inneren Festigkeit“ dieses Wunsches ausdrückt 

Genaueres lässt sich auch nachlesen im Wortlaut des Urteils (siehe Frage 1) oder in den Hinweisen der Bundesärztekammer 2021, A1429f.

Lange wurde in Politik und Gesellschaft über den sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ergebenden gesetzgeberischen Handlungsbedarf diskutiert. Es gab zwei verschiedene fraktionsübergreifende Gesetzesinitiativen im Bundestag, die die Suizidassistenz in Deutschland neu regeln wollten. Am 06.07.2023 fand die Abstimmung im Bundestag statt. Keiner der beiden Gesetzentwürfe zur Suizidassistenz fand eine Mehrheit. Beide wurden abgelehnt. 

Die Stellungnahme der DGVT zum Abstimmungsergebnis im Bundestag finden Sie hier.

Nach der Ablehnung der beiden Gesetzentwürfe zur Suizidassistenz stellt sich die Situation wie folgt dar: Die Beihilfe zum Suizid bleibt in Deutschland weiterhin gesetzlich ungeregelt – und damit straffrei. Damit ist die Hilfe bei der Selbsttötung in Deutschland weiterhin erlaubt, birgt in der Praxis aber große rechtliche Unsicherheiten. Suizidassistenz ohne gesetzliche Regelung gestaltet sich derzeit so, dass diese über Selbsthilfevereine angeboten werden, die besondere Kontakte zu Ärzt*innen haben, die das Medikament dann verschreiben. Dies erfolgt ohne gesondertes Schutzkonzept. Die Kosten für einen assistierten Suizid belaufen sich dabei auf Beträge in bis zu vierstelliger Höhe. Genaueres zu Sterbehilfevereinen können Sie nach Login im internen Mitgliederbereich unter "Themen von A bis Z" unter dem Stichpunkt "Suizidassistenz" lesen.

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Ob es neue Versuche einer gesetzlichen Regelung geben würde, war nach der Ablehnung der beiden Gesetzentwürfe im Juli 2023 zunächst unklar.  Im Oktober 2023 nahm eine fraktionsübergreifende Gruppe um die FDP-Abgeordnete Katrin Helling-Plahr die gesetzliche Regelung der Suizidhilfe wieder auf. Es sollte ein umfassender Dialog in Gang gebracht werden, ebenso sollten Informationsveranstaltungen für interessierte Abgeordnete angeboten werden.

Die folgenden Fragen 4.1. bis 4.4. zu den beiden abgelehnten Gesetzentwürfen wurden vor der Abstimmung im Bundestag im Juli 2023 verfasst. Sie können bei Interesse gelesen werden, sonst bitte weiter bei Frage 4.4.

4.1. Gruppe Castellucci: Restriktiverer Gesetzentwurf

Der erste Gesetzentwurf zur „Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Hilfe zur Selbsttötung und zur Sicherstellung der Freiverantwortlichkeit der Entscheidung zur Selbsttötung“ stammt von 85 Abgeordneten um den SPD-Politiker Lars Castellucci. Der Entwurf sieht vor, dass Suizidassistenz grundsätzlich strafbar ist, unter bestimmten Voraussetzungen aber erlaubt wird. Dafür muss die Person, die Sterbehilfe in Anspruch nehmen will, volljährig sein, sich mindestens zwei Mal von einer/m Fachärzt*in für Psychiatrie oder einem/r Psychotherapeut*in untersuchen lassen und ein Beratungsgespräch absolvieren. Die psychiatrischen Gutachter*innen sollen nicht nur die Freiverantwortlichkeit der Entscheidung prüfen, sondern auch, ob Druck ausgeübt wird. Zudem sieht der Gesetzentwurf vor, dass Sterbehilfe-Vereine strenger kontrolliert werden. Es wird betont: „Ein Suizid muss die Ausnahme bleiben“. Zudem soll ein Werbeverbot für die Hilfe zur Selbsttötung neu eingeführt werden. Den Wortlaut des Gesetzentwurfs zur Suizidassistenz finden Sie hier

4.2. Gruppe Künast und Helling-Plahr: Liberalerer Gesetzentwurf

Der zweite Gesetzentwurf „zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben und zur Regelung der Hilfe zur Selbsttötung“ stammt von einer Gruppe von Abgeordneten um Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) und Helling-Plahr (FDP), die ursprünglich zwei getrennte Entwürfe vorgelegt hatten, diese dann aber zusammengeführt hatten, um gegen den Entwurf der Castellucci Gruppe eine Chance zu haben. Der Entwurf lehnt ein "psychiatrisches Gutachten", wie es im Entwurf von der Gruppe Castellucci enthalten ist, ab. Suizidwillige sollen demnach das Recht haben, sich an zu etablierenden staatlich anerkannten Beratungsstellen beraten zu lassen. Über die Beratung ist eine Bescheinigung auszustellen. Die Beratung darf nicht von einer Person durchgeführt werden, die später an der Suizidhilfe beteiligt ist. Die Beratung kann in Härtefällen entfallen. Dies muss von zwei unabhängigen Ärzt*innen als Härtefall eingeschätzt werden (Voraussetzung: aktuell oder absehbarer existentieller Leidenszustand mit anhaltenden Symptomen, die die Person in gesamter Lebensführung dauerhaft beeinträchtigen und zugleich zeitlich begrenzte Lebenserwartung). Ein/e Ärzt*in darf ein Arznei- oder Betäubungsmittel zum Zweck des Suizids verschreiben, wenn die Person 18 Jahre ist, eine Beratung vorweisen kann, die mind. drei Wochen, max. 12 Wochen zurückliegt, und der Suizidwunsch autonom gebildet wurde. Die Person muss außerdem ärztlich aufgeklärt worden sein. Für den Fall, dass ein/e Betroffene/r keine/n Ärzt*in findet, der/die die Verschreibung  vornimmt, kann auch eine staatliche Stelle die Verschreibung vornehmen, sofern ein Arzt oder eine „andere bei der zuständigen Stelle beschäftigte, gleichermaßen qualifizierte Person“ das Vorliegen der Voraussetzungen bestätigt.
Die Bundesregierung evaluiert unter Heranziehung interdisziplinären externen Sachverstands spätestens nach 3 Jahren und anschließend regelmäßig alle drei Jahre die Wirkungen des Gesetzes.  Bis ausreichend Beratungsstellen vorhanden sind, aber längstens 2 Jahre, darf jede/r Ärzt*in die Beratung vornehmen, ohne dass es besonderer staatlicher Anerkennung bedarf. 

Eine Zusammenfassung des Ärztenachrichtendienstes des fusionierten Gesetzentwurfs finden Sie hier

Einer der größten Unterschiede zwischen den beiden Entwürfen besteht darin, dass die Gruppe um Castellucci einen eigenen Strafrechtsparagrafen und eine engmaschige psychiatrische Beratungspflicht anstreben. Die Gruppen um Helling-Plahr und Künast lehnen eine Verankerung im Strafrecht ab. 

4.3. Besteht Konsens hinsichtlich der Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung der Suizidassistenz?

Zuletzt sei noch daraufhin gewiesen, dass nicht alle die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung sehen. Beispielsweise rät der Theologe und frühere Ethikrat-Vorsitzende Peter Dabrock von einem Gesetz zur Sterbehilfe ab. Er befürchtet zu viel Bürokratie, eine Aufwertung umstrittener Sterbehilfevereine und eine "Verschlimmbesserung". Keiner der vorliegenden Gesetzentwürfe helfe Menschen, die einen Suizid erwägen, in ihrer existenziell schwierigen Lage. Er fordert, das Geld, das in der Folge eines Gesetzes für Begutachtungsverfahren und Beratung aufgewendet werden müsste, in Suizidprävention sowie die Palliativ- und Hospizversorgung zu investieren. Auch viele Sterbehilfeverbände erinnern regelmäßig daran, dass auch ohne gesetzliche Regelung bereits ausreichende Rahmenbedingungen und Sicherheitsmechanismen vorhanden sind und keine Grauzonen vorliegen. Auch der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, zeigte sich zufrieden, dass der Bundestag sich gegen beide Gesetzentwürfe entschied. „So wird Deutschland vor einem ethischen Dilemma bewahrt“, sagte er.  

4.4. Anträge zur Suizidprävention der beiden Abgeordnetengruppen

Zeitgleich mit den beiden Gruppenanträgen zur Suizid-Assistenz hatten beide Abgeordnetengruppen (Castellucci UND Künast/Helling-Plahr) in letzter Minute einen gemeinsamen Antrag für ein Suizidpräventionsgesetz vorgelegt, der mit über 99% der Stimmen eine überwältigende Mehrheit fand. Damit wurde beschlossen, dass es bis zum 30. Juni 2024 ein Suizidpräventionsgesetz geben soll. Die DGVT begrüßte dies sehr. Es war eine der zentralen Forderungen der DGVT im laufenden Gesetzgebungsverfahren.

Die DGVT hatte eine entsprechende Initiative von DGP, NaSPro, DHPV und DGS für ein Suizidpräventionsgesetz unterstützt. Die genauen Forderungen (zum Beispiel Förderung und Vernetzung suizidpräventiver Angebote, Aufbau einer bundesweiten Informations- und Koordinierungsstelle, Förderung von Suizidprävention für Risikogruppen, Ausbau palliativmedizinischer Angebote) entnehmen Sie bitte dem Papier „Eckpunkte für eine gesetzliche Verankerung der Suizidprävention”, das von mehr als 40 Fachgesellschaften und bundesweit tätigen Institutionen unterstützt wurde. 

Den gemeinsamen Antrag zu einem Suizidpräventionsgesetz von Castellucci und Künast/Helling-Plahr mit dem Titel „Suizidprävention stärken“ finden Sie hier. In dem Antrag werden nicht nur die oben gennannten Forderungen aufgegriffen, es wird darin sogarexplizit unter II. 9. gefordert: „Eine bedarfsgerechte psychotherapeutische, psychiatrische, psychosoziale und palliativmedizinische Versorgung soll sichergestellt werden (…)“. 

Die zentrale Frage bei der Suizidassistenz ist laut dem ehemaligen BPtK-Präsidenten Dr. Munz immer die Abwägung zwischen Autonomie und Schutz des Sterbewilligen. Das Spannungsfeld zwischen Lebensschutz und Selbstbestimmung lasse sich auch gesetzgeberisch kaum auflösen. Die genaueren Ergebnisse des Round Table der Bundespsychotherapeutenkammer zum Thema finden Sie hier:  

Der moralische Konflikt lässt sich laut PD Dr. med. Dr. phil M. Trachsel wie folgt beschreiben: 

Autonomie des/der Patient*in respektieren und assistierten Suizid akzeptieren auf Kosten seines Lebens
vs.
Lebenserhaltung stärker gewichten und den/die Patient*in gegen seinen/ihren Willen am assistierten Suizid hindern auf Kosten seiner Autonomie

Es können laut Trachsel zwei Arten von Fehleinschätzungen vorgenommen werden: 

  1. Es liegt ein freiverantwortlicher Suizidwunsch vor und dieser wird fälschlicherweise als unfrei eingeschätzt (z.B. auf eine akute psychische Krankheit zurückgeführt) und dem/der Patient*in wird der assistierte Suizid verwehrt.
  2. Es liegt eine potenziell gut behandelbare psychische Störung vor, die aber nicht erkannt wird. Dem/der Patient*in wird die Suizidassistenz gewährt, obwohl der Entschluss nicht autonom war. Die Entscheidung kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. 

Glasenapp & Teismann (2022) verweisen in ihrem Beitrag zum Spannungsfeld von Selbstbestimmung und Fürsorge auf das im medizinischen Bereich bekannte Georgetown-Mantra, auf das auch in der Muster-Berufsordnung der BPtK (2018) in § 3 Abs. 2 Bezug genommen wird. Darin beschreiben Beauchamp und Childress vier ethische Grundprinzipien, die im psychotherapeutischen Handeln individuell auszubalancieren sind: a) das Prinzip der Autonomie und Selbstbestimmung, b) das Prinzip der Schadensvermeidung, c) das Prinzip des Patient*innenwohls und der Fürsorge sowie d) das Prinzip der (sozialen) Gerechtigkeit. Beim assistierten Suizid steht das Prinzip der Autonomie und Selbstbestimmung im Spannungsfeld mit dem Prinzip der Schadensvermeidung und der Fürsorge. 

Im Folgenden werden einige Argumente der Befürworter*innen und Kritiker*innen von Suizidhilfe dargestellt. 
 

6.1. Argumente der Kritiker*innen von Suizidassistenz: 

  • Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts stellt einen Einschnitt in die auf Bejahung und Förderung des Lebens ausgerichtete Kultur in Deutschland dar
  • Alte und kranke Menschen können subtil unter Druck gesetzt werden
  • Die Alternative zwischen Qualtod oder Brutalsuizid und heroischem Freitod andererseits ist ein problematisches Narrativ
  • Aus religiöser Sicht ist das Lebensende Gottes Angelegenheit
  • Aufgrund Deutschlands NS-Vergangenheit sollte man bezüglich des assistierten Suizids besonders vorsichtig sein
  • Es besteht die Möglichkeit des Missbrauchs durch die, die Suizidassistenz möglich machen. Verwandte könnten sich vor der Zeit einer Erbschaft bemächtigen wollen oder sich eines Familienmitglieds entledigen, das einen anstrengt, weil er oder sie Pflege braucht
  • In Ländern, in denen Suizidassistenz erlaubt ist, steigt die Selbstmordrate an, nicht nur bei Menschen mit unheilbaren somatischen Erkrankungen, sondern auch im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen
  • Wenn Menschen mit Sterbewunsch alternative Behandlungsmöglichkeiten beispielweise im Rahmen von Palliativmedizin oder Psychotherapie aufgezeigt bekommen, ist es möglich, dass der Sterbewunsch verschwindet
  • Beim assistierten Suizid besteht die Gefahr einer Normalisierung und schlimmstenfalls Kommerzialisierung von Sterbehilfe
  • Das Kriterium der Freiverantwortlichkeit lässt sich nicht trennscharf und sicher feststellen. Es ist in der Theorie klar, aber in der Praxis mitunter schwer zu beurteilen
  • Wo das Weiterleben nur eine von zwei legalen Optionen ist, wird jeder rechenschaftspflichtig, der anderen die Last seines Weiterlebens aufbürdet. Es ist falsch zwischen scheinbar “guten Suiziden”, die aus einer vorgeblich freien Entscheidung des unabhängigen Individuums entstehen und “schlechten
  • Suiziden” aus einer akuten psychischen Erkrankung heraus, zu unterscheiden. Damit labelt man einen Teil suizidgefährdeter Menschen als psychisch krank und stigmatisiert auf diese Weise sowohl suizidale als auch psychisch kranke Menschen
     

6.2. Argumente der Befürworter*innen von Suizidassistenz: 

  • Der Mensch hat seit jeher den Wunsch und auch das Recht über den Zeitpunkt seines Todes selbst zu bestimmen. Dieses ist vom Staat zu akzeptieren
  • Das Selbstbestimmungsrecht ist eines der höchsten Güter (nur das Verantwortungsgebot für die anderen steht noch höher)
  • Die Ursache des Leidens ist nicht relevant. Die gesundheitliche Situation oder auch das Lebensalter dürfen keine Rolle spielen. Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben steht jede/m Bürger*in unabhängig von den Gründen für seinen Todeswunsch zu, wenn sein Wille frei gebildet ist
  • Leid ist subjektiv, es gibt keine objektiven Kriterien dafür, was ein unerträgliches Leid ist
  • Das Risiko einsamer Suizide wird durch die Möglichkeit der Suizidassistenz gesenkt
  • Es kann viele Menschen beruhigen, um einen letzten Ausweg zu wissen, ohne diesen am Ende deshalb auch in Anspruch zu nehmen
  • Die Belas­tung für Angehörige, die bislang als Einzige straffrei Suizidhilfe leisten durften, wird reduziert
  • Die Würde und Selbstbestimmung des Menschen sind gegen staatlichen (und kirchlichen) Paternalismus zu verteidigen
  • Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ermöglicht Gespräche über Sterbewünsche, die sonst vielleicht aus Sorge vor „fürsorglichen“ Präventionsmaßnahmen (z.B. stationäre Einweisung) nicht geäußert worden wären 
  • Leben um jeden Preis kann sehr hartherzig sein, kann ein Plädoyer für die Grausamkeit sein, wenn beispielweise die Schmerzen/Qualen für Todkranke nicht beendet werden können
  • Beim ärztlich assistierten Suizid gehe es um sehr seltene Entscheidungen in Einzelfällen, nicht um Suizidassistenz als Normalfall
  • Warum soll grundsätzlich das unfreiwillige, das sogenannte "natürliche", das langsame und fremdbestimmte Sterben besser oder moralischer sein als der freiwillige, selbstbestimmte, schnelle Tod?

Hinsichtlich dieser Auflistung sei bemerkt, dass die Position zum Thema Suizidassistenz nicht immer binär mit „pro“ oder „kontra“ beschrieben werden kann, sondern dass auch Differenzierungen vorgenommen werden können. Außerdem erhebt die Liste keinen Anspruch auf Vollständigkeit. 

Eine interessante ethische Analyse der Hauptargumente in der Debatte um die Suizidassistenz findet sich hier

Darin werden die wichtigen Pro und Kontra Argumente (Pro: das Autonomie-Argument, das Würde-Argument, das Leidens-Argument; Kontra: das Geschöpflichkeits-Argument und das Natur-Argument) diskutiert, und zwar aus Sicht der katholischen Kirche, die sich traditionell kritisch gegenüber der Suizidassistenz positioniert. 
 

6.3. Wer zählt in Europa zu den Kritiker*innen, wer zu den Befürworter*innen von Suizidassistenz?

In der EU ist die Suizidassistenz nur in den folgenden fünf Ländern ausdrücklich erlaubt und an jeweils ganz unterschiedliche Bedingungen geknüpft: Die Benelux-Staaten (Belgien, Niederlande, Luxemburg), seit 2021 Spanien und ganz aktuell Portugal. Hinzu kommt in Europa die Schweiz als Nicht-EU-Mitglied. Die Schweiz hat sehr liberale Gesetze, in der die Hilfe zur Selbsttötung seit 70 Jahren straffrei ist. Dies gilt auch für Ausländer*innen, so dass die Schweiz wichtigstes Ziel für sterbewillige Menschen aus aller Welt wurde. Bekannt sind Organisationen wie „Exit“, „Dignitas“ oder „Life Circle“. Besonders restriktiv bezüglich der Suizidassistenz ist Polen, wo Beihilfe zum Suizid als Mord gilt.

Wie in Frage 3 erwähnt, ist das Recht auf einen assistierten Suizid laut Bundesverfassungsgericht an die Freiverantwortlichkeit gebunden. Diese setzt neben anderen Kriterien die Fähigkeit des Sterbewilligen voraus, seinen Willen frei und unbeeinflusst von einer akuten psychischen Störung zu bilden und nach dieser Einsicht handeln zu können. Die Auffassung darüber, ob auch bei Menschen mit einer psychischen Erkrankung Suizidwünsche freiverantwortlich sein können, gehen auseinander, wie beispielsweise eine Befragung von über 2000 Mitgliedern der DGPPN ergibt (https://www.dgppn.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen-2022/UmfrageSuizidassistenz.html). Der Deutsche Ethikrat betont, dass eine psychische Erkrankung als solche die Freiverantwortlichkeit der Suizidentscheidung nicht ausschließe.

Kritiker*innen der freien Willensbildung bei psychischer Erkrankung argumentieren,

  • dass ein Bilanzsuizid (d.h. ein Suizid, der auf einer - mehr oder weniger - rationalen Abwägung von Lebensumständen basiert) nicht den Normalfall darstellt
  • dass Suizidversuche und Suizide fast immer (ca. 90% aller Suizide) im Rahmen von psychischen Erkrankungen (Depressionen, Schizophrenie, Alkohol- und Drogensucht, Persönlichkeitsstörungen) erfolgen
  • dass suizidale Impulse im Rahmen psychischer Erkrankungen fast immer vorübergehend sind
  • dass Suizidalität gerade im Rahmen von Depressionen sehr häufig ist und als Symptom der Erkrankung und nicht der freien Willensbildung zu interpretieren ist
  • dass die Vulnerabilität psychisch kranker Menschen berücksichtigt werden muss
  • dass Menschen mit psychischen Erkrankungen vor sich selbst zu schützen sind

Auf der einen Seite stehen die Argumente der Befürworter*innen einer freien Willensbildung auch bei Vorliegen einer psychischen Erkrankung. Sie argumentieren,

  • dass jeder Mensch qua Menschsein eine freie Willensbestimmung hat und dieses auch für Menschen gilt, die an einer psychischen Erkrankung leiden
  • dass ein Großteil der Menschen mit psychischen Erkrankungen bezüglich der meisten Dinge willens- und einsichtsfähig ist
  • dass die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts (Willensbildung unbeeinflusst von einer akuten psychischen Störung) darauf hinweist, dass nicht grundsätzlich das Vorhandensein einer psychischen Erkrankung die Entscheidungsfreiheit einschränkt, sondern nur spezifische akute Symptome
  • dass für Menschen mit psychischen Erkrankungen das Verwehren eines Rechts auf Suizidassistenz eine Diskriminierung darstellt
  • dass Sterbewünsche auch bei psychisch kranken Menschen Ausdruck von Selbstbestimmung und Autonomie sein können

Ungeklärt ist in dieser Debatte auch, wie mit Menschen umzugehen ist, die zwar an einer psychischen Störung leiden, welche aber bisher noch nicht diagnostiziert worden ist.

  • Im Spannungsfeld von Selbstbestimmung und Fürsorge – Ein Diskussionsbeitrag zum Thema selbstbestimmtes Sterben und Suizid (Autoren: Jan Glasenapp & Tobias Teismann) Abdruck in Verbandszeitschrift: Verhaltenstherapie und Psychosoziale Praxis Ausgabe 3/2022S. 481 ff.

 

Unsere Positionierungen

Suizidprävention

Assistierter Suizid: Gesetzliche Regelung zur Sterbehilfe im Bundestag gescheitert, Gesetz zur Suizidprävention aber verabschiedet

Am 06.07.2023 hat der Bundestag über zwei Gesetzentwürfe zur Regelung des Zugangs zum assistierten Suizid debattiert. 

DGVT

Forderung für ein Suizidpräventionsgesetz und Gesetzentwürfe zur Suizidassistenz

Als Teil eines breiten Bündnisses setzt sich die DGVT für ein Suizidpräventionsgesetz noch in dieser Legislaturperiode ein.

DGVT

Stellungnahme der DGVT zu den Auswirkungen der geplanten gesetzlichen Regelungen zum assistierten Suizid auf die psychosoziale Versorgung

Am 28. November 2022 hat der Rechtsausschuss des Bundestages Sachverständige dazu eingeladen, die drei aktuell vorliegenden Gesetzentwürfe zur Hilfe bei einer Selbsttötung zu bewerten. Die DGVT hat sich mit einer Stellungnahme an den Rechtsausschuss gewandt, mit der sie auf die Auswirkungen der Einführung eines in allen drei Gesetzentwürfen vorgesehenen Beratungsrechts für eine sterbewillige Person auf die psychosoziale Versorgung hinweist und Verbesserungen einfordert.

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